27.09.2022 – Kategorie: eCommerce
Barrierefreiheit: Warum der E-Commerce kein grenzenloses Einkauferlebnis bietet
Ein Eingang mit Stufe, eine zu kleine Umkleidekabine oder ein Preisschild mit winziger Schrift – alles Barrieren, denen Menschen mit Behinderung beim Einkaufsbummel immer wieder begegnen. Doch wie sieht es bei der virtuellen Einkaufstour aus? Ist der E-Commerce in Sachen Barrierefreiheit besser aufgestellt?
Das Thema Barrierefreiheit im E-Commerce beschäftigt die EU bereits seit einigen Jahren. Daher hat die Staatengemeinschaft im Jahr 2019 den European Accessibility Act (EAA) verabschiedet. Im Kern geht es bei der Richtlinie darum, digitale Produkte und Räume wie den Onlinehandel für Menschen unabhängig von geistigen und körperlichen Fähigkeiten zugänglich zu machen. Das bedeutet, dass Teilhabe nicht am Bildschirm enden darf.
Bis zum 28. Juni 2022 hatten die Mitgliedsstaaten Zeit, die Maßnahmen des EAA in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland ist das bereits letztes Jahr geschehen und die Vorschriften wurden im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verankert. Anwenden müssen Onlineshops das Gesetz allerdings erst ab dem 28. Juni 2025. Außerdem sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigen oder einem Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro von der Regelung ausgenommen.
Weniger Barrieren bringen neue Kunden
Zwar ist die verpflichtende Umsetzung für Privatunternehmen noch drei Jahre entfernt und nicht für alle bindend, doch lohnt es sich für Shop-Betreiber schon jetzt, sich mit den Maßnahmen zu beschäftigen. Da jeder zehnte Deutsche laut Statistischem Bundesamt schwerbehindert ist, bilden sie einen Kundenkreis, der nicht nur aus ethischen Gründen berücksichtigt werden sollte. Zudem tragen die Maßnahmen dazu bei, dass die Customer Journey auch für andere Kunden einfacher abläuft – was wiederum Kaufabbrüche reduziert und die Konversion erhöht.
Geht es darum, ob Kunden ihren Einkauf im Onlineshop abschließen oder nicht, spielt der Check-out-Prozess eine entscheidende Rolle: Er muss so einfach und schnell wie möglich durchgeführt werden können, sonst verlassen Kunden den Store meist mit einer leeren Einkaufstasche. Ein Grund, wieso sich smarte Lösungen beim Bezahlprozess besonders rasch durchsetzen und so dem Handel frühzeitig aufzeigen, welche Trends das Shoppingerlebnis der Kundinnen und Kunden in Zukunft beeinflussen werden. Wirft man jedoch einen Blick auf die Barrierefreiheit, muss sich auch der Check-out noch in vielen Punkten verbessern, um für alle zugänglich zu sein.
Ist Barrierefreiheit in Onlineshops umgesetzt?
Um zu überprüfen, ob ihr Onlineshop die Kriterien der Barrierefreiheit erfüllt, können Händler die international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) nutzen. Sie definieren, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit Webinhalte als barrierefrei gelten – sprich von Nutzern mit motorischen, kognitiven, visuellen und auditiven Einschränkungen ohne Probleme verwendet werden können. Zu den Punkten des Leitfadens gehörten etwa die Tastaturbedienbarkeit, der Farbkontrast einer Seite und das 2-Sinne-Prinzip.
Die 2020 veröffentlichte Studie der Schweizer Stiftung „Zugang für alle“ bewertete Onlineshops anhand der WCAGS. Dabei zeigte sich: Aufgrund ihrer Gestaltung schließen 34 Prozent der getesteten Shops Menschen mit Behinderung vollständig von der Nutzung aus. Nur knapp ein Viertel sind gut zugänglich. Die ein Jahr später erschienene Studie von Sapera Studios geht ähnlich vor: Mithilfe der WCAGs nehmen die Studienmacher zwanzig der größten deutschen Onlineshops unter die Lupe – darunter Namen wie Apple, IKEA und Amazon.
Dabei wird auch hier deutlich, dass die Händler mit Blick auf die Barrierefreiheit noch einiges verbessern können. Screenreader-tauglich waren zum Beispiel nur sieben der zwanzig getesteten Webauftritte. Bei einem Screenreader handelt es sich um eine Bildschirmvorlese-Software für blinde und sehbehinderte Menschen. Sie gibt die auf dem Bildschirm sichtbaren Bedienelemente und Text entweder akustisch durch Sprachsynthese oder taktil durch eine Braillezeile wieder.
Digitale Hürden einfach überwinden
Menschen, die auf einen Screenreader angewiesen sind, konnten bei einem Großteil der von der Schweizer Studie getesteten Shops ihren Einkauf nicht abschließen – unnötige Kaufabbrüche sind die Folge. Dabei lassen sich viele der benötigten Funktionen von einem PSP (Payment Service Provider) wie Computop einfach umsetzen: Zunächst müssen die Eingabefelder im Check Out klar und eindeutig beschriftet sein – was nicht nur das Einkaufen mit dem Screenreader einfacher macht, auch für die andere Kunden wird das Bezahlen leichter und schneller. Außerdem müssen das Feld und der dazugehörige Text im Backend miteinander verknüpft sein.
Eine weitere Schwierigkeit, der Menschen mit einer Sehbehinderung im Onlineshop begegnen, sind Felder, die nur visuell anzeigen, dass sie verpflichtend sind. Und auch bei Fehlermeldungen leuchtet das Feld häufig lediglich rot auf. So wird es für Sehbehinderte unmöglich, sich die neue Vase oder die Kopfhörer, die im Warenkorb liegen, zu kaufen. Um den Check-out Screenreader-tauglich zu machen, sollten also entsprechende Codes im Formular eingebettet sein. So sind Pflichtfelder nicht nur mit einem Sternchen als solche erkennbar, sondern der Screenreader liest stattdessen „erforderlich“ vor oder übersetzt es in eine Braillezeile.
Barrierefreiheit: Den Check-out sichtbar machen
Beim Bezahlen sollen die Kunden direkt erkennen können, welche Zahlarten möglich sind. Dabei helfen die kleinen Logos von Visa oder PayPal. Immerhin verarbeitet unser Gehirn Bilder 60.000-mal schneller als Texte. Doch was, wenn der Kunde die Bildchen nicht oder kaum sehen kann? Die simple Lösung heißt: Alternativtext. Denn um für den Screenreader erkennbar zu sein, muss dieser lediglich unter dem Bild stehen. Eine kleine Veränderung, die für mehr Teilhabe sorgt.
Ganz unsichtbar wird der Check-out für Sehbehinderte, wenn er nicht für den High-Contrast-Mode ausgelegt ist. Dieser ermöglicht es, die Bildschirmfarben anzupassen, damit Inhalte besser sichtbar werden. Andernfalls werden Eingabefelder und Logos oftmals unsichtbar – bezahlen wird unmöglich.
Wie ein Check-out ohne Mausklick funktioniert
Haben Menschen motorische Einschränkungen, sind sie beim Onlineshopping besonders auf die Tastatur angewiesen. Im Umkehrschluss bedeutet das für einen barrierefreien E-Commerce: Alle interaktiven Elemente müssen ohne Maus nur mit der Tastatur vom Kunden bedient werden können. Zusätzlich sollten die Online-Nutzer im Check-out erkennen können, in welchem Feld des Formulars sie gerade sind. Dafür muss es etwa visuell hervorgehoben werden.
Ein deprimierendes Erlebnis machen Kunden in einem der von der Schweizer Studie getesteten Webshops: Tastaturnutzer kommen nicht bis zur Bezahlseite, da das Drücken der Tabulatortaste nicht weiterführt. Die Customer Journey endet für motorisch eingeschränkte Menschen also im Warenkorb und der Kaufabschluss ist nicht möglich. So geht nicht nur einmalig Konversion verloren, sondern es macht den Onlineshop auch für zukünftige Einkäufe unattraktiv.
Obwohl gerade Menschen mit einer Behinderung besonders gerne online einkaufen, gehen sie oftmals auf dem Weg zum Check-out verloren. Dabei lassen sich gerade beim Bezahlen viele Hürden mit ein paar Programmierungsänderungen entfernen und so neue Kundenkreise erschließen. Das hilft nicht nur Menschen, die auf einen Screenreader oder ihre Tastatur angewiesen sind, sondern macht das Bezahlen auch für die übrigen Kunden einfacher: Der neue Pullover landet also nicht nur im Einkaufskorb des Onlineshops, sondern schließlich auch bei mehr Menschen im Kleiderschrank – Teilhabe und Konversion erhöht.
Über den Autor Ralf Gladis
Ralf Gladis ist Mitgründer und Geschäftsführer der Computop Paygate GmbH. Er ist verantwortlich für das Produktportfolio und die strategische Ausrichtung von Computop. 2022 wurde Ralf Gladis in das Digital Finance Forum berufen, die als Expertenkommission das Bundesfinanzministeriums berät. Der Payment-Service-Provider betreut seit über 20 Jahren Unternehmen aus den Branchen Dienstleistungen, Handel, Mobility, Gaming und Reise. Darüber hinaus stellt Computop sein Zahlungssystem Banken und Finanzdienstleistern als White Label-Lösung zur Verfügung. Insgesamt wickelt der Provider jährlich Transaktionen im Wert von 36 Milliarden US-Dollar in 127 Währungen ab. (sg)
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