22.08.2023 – Kategorie: Recht

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Checkliste zur praktischen Umsetzung

Barrierefreiheit BarrierefreiheitsstärkungsgesetzQuelle: Your Hand Please - Adobe Stock

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verpflichtet erstmals private Wirtschaftsakteure zu verstärkter digitaler Barrierefreiheit. Digital genutzte Produkte und Dienstleistungen wie Computer und Smartphones oder Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen, müssen ab dem 29. Juni 2025 barrierefrei(er) sein.

Von dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind nicht nur Hersteller, Importeure und Händler von Produkten oder Anbieter der Dienstleistungen betroffen. Alle Unternehmen und sogar Vereine müssen bis zum 28. Juni 2025 – unter Umständen – Apps, Online-Shops und Dokumente sowie Webseiten barrierefrei gestalten. Finden Sie anhand folgender Kriterien heraus, ob Sie davon betroffen sind. Die folgende Checkliste und Informationen (Stand Juli 2023) stellen eine Orientierungshilfe dar – sie sind keine Rechtsberatung. Außerdem können die Forderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes noch angepasst oder erweitert werden.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Unterscheidung der Zielgruppen

Wenden sich Ihre Produkte und Dienstleistungen, Online-Shops, Webseiten, Apps, E-Books und Dokumente weder direkt noch indirekt an Verbraucher? Dann können Sie sich jetzt entspannen. Denn das Gesetz wurde zur Stärkung von Verbrauchern und Nutzer/innen erlassen.

Tipp: Lesen Sie bitte trotzdem weiter, um ein Verständnis für das Thema digitale Barrierefreiheit zu entwickeln. Nur weil Sie nicht dazu gezwungen sind, bedeutet es nicht, dass Sie im Business-to-Business-Bereich und speziell bei (potenziellen) Mitarbeitern durch Ihre digitale Barrierefreiheit nicht auch Wettbewerbsvorteile erzielen können. Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen auch bei ihrer Berufsausübung mehr digitale Barrierefreiheit!

Ihre Kunden oder Mitglieder sind direkt/indirekt Verbraucher. Wenn Sie nur eine der folgenden Fragen mit Ja beantworten, dann gehört Ihre Organisation – bis auf Ausnahmen, siehe unten – zu den Wirtschaftsakteuren, die bis Mitte 2025 Produkte, Dienstleistungen, Apps, Online-Shops, Webseiten, E-Books und digitale Dokumente für Nutzer barrierefrei(er) gestalten müssen.

Was Hersteller und Anbieter von Produkten beachten müssen

Sind Sie Hersteller, Importeur oder Händler der folgenden Produkte:

  • Fernsehgeräte mit Internetzugang, Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone, E-Book-Reader oder Router
  • Geld-, Fahrausweis- oder Check-In-Automaten
  • Betriebssystem- oder Anwendungs-Software, E-Books oder Apps für die oben genannte Hardware sowie Bedienoberflächen für Automaten

Wenn Sie Hersteller eines der oben genannten Produkte sind, haben Sie vermutlich bereits eine BFSG-Task-Force eingerichtet, die sich intensiv mit den spezifischen Forderungen auseinandersetzt. Falls nicht, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Denn Sie dürfen sonst Produkte, die nach dem Stichtag produziert wurden, in Europa nicht mehr anbieten. Es gelten allerdings unterschiedliche Übergangsfristen für die einzelnen Produkt-Kategorien.

Sie sind Importeur oder Händler der aufgeführten Produkte. Dann müssen Sie zukünftig dafür Sorge tragen, dass alle Produkte, die nach dem Stichtag produziert wurden und von Ihnen importiert oder verkauft werden, den BFSG-Anforderungen entsprechen. Marktüberwachungsbehörden können hier – auch initiiert durch Verbraucher, Marktbegleiter und Verbände – dafür sorgen, dass Sie die Produkte in Europa nicht mehr einführen oder verkaufen dürfen. Für Sie wird die Auswahl Ihrer Lieferanten entscheidend werden. Überprüfen Sie rechtzeitig Ihre Verträge, und lassen Sie sich von den Herstellern über den Stand der Barrierefreiheit informieren.

Was Anbieter von B2C-Dienstleistungen beachten müssen

Sind Sie Anbieter der folgenden Dienstleistungen:

  • Telefon- oder Messenger-Dienstleistungen (Telemedien)
  • Bankdienstleistungen
  • Leistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce)
  • Bereitstellung von E-Books

Wenn Sie Anbieter einer der oben genannten Dienstleistungen sind, dann sollten Sie bereits eine Task-Force eingesetzt haben, die sich Ihre spezifischen Anforderungen genau ansieht. Es sei denn, Sie gehören zu den sogenannten „Kleinstunternehmen“ mit weniger als zehn Beschäftigten oder höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz. Oder es ergeben sich durch die Barrierefreiheit grundlegende Veränderungen der Wesensmerkmale Ihrer Dienstleistung. Oder die Herstellung von Barrierefreiheit stellt für Sie eine unverhältnismäßige (nachweißbar bedrohliche) Belastung dar. Dann müssen Sie das proaktiv bei Ihrer Marktüberwachungsbehörde anzeigen.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Leistungserbringer für Verbraucher

Viele Organisationen nutzen bei der digitalen Kommunikation mit Verbrauchern Dienstleistungen der Telemedien, Bankdienstleistungen oder Leistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce). Damit werden Sie – dem BFSG nach – zu Leistungserbringern gegenüber Verbrauchern. Ihre Kunden oder Mitglieder sind direkt/indirekt Verbraucher. Wenn Sie nur eine der folgenden Fragen mit Ja beantworten, dann gehört auch Ihre Organisation zu den Leistungserbringern.

Bieten Sie folgende digitale Kommunikationsleistungen an:

  • Apps: Sie bieten die Nutzung von Apps an
  • Onlineshops: Sie verkaufen über Ihre Website oder Ihren separaten Online-Shop Produkte oder Dienstleistungen. Ist der Onlineshop in Ihre Website integriert, müssen sowohl der Shop als auch die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein. Durch den bloßen Link zu einem Onlineshop, der nicht direkt auf Ihrer Website ist, oder durch einen Link zu einem Affiliate-Partner werden Sie nicht zu einem Leistungserbringer.
  • Website: Nutzer können sich auf Ihrer Website in einen Kundenbereich einloggen oder über ein Help-Desk-System ein Support-Ticket eröffnen. Oder Nutzer können online Termine vereinbaren, ein Kontaktformular ausfüllen, einen Chatbot oder einen Rückruf-Service nutzen oder über einen Spenden-Button spenden.

Wenn die Services auf Ihrer Website mit einer Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr in Verbindung stehen, handelt es sich um Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn neben kostenfreien Content auch kostenpflichtiger Content angeboten wird. Das ist auch der Fall, wenn Sie Fragen zu Verkaufs- oder Supportzwecken über Chatbots oder über Rückruf-Services beantworten. Und bei der Nutzung eines Spendenbuttons kommt meist eine Bankdienstleistung hinzu. Das bedeutet, dass nach den Vorschriften des BFSG die gesamte Webseite barrierefrei zu gestalten ist.

Weitere Kriterien für Leistungserbringer

Sie gehören zu den Leistungserbringern, wenn Sie kein Kleinstunternehmen sind, die Barrierefreiheit keine grundlegende Veränderung der Wesensmerkmale Ihrer Leistung ergibt oder es für Ihre Organisation keine unverhältnismäßige Belastung darstellt – dann sind Sie ebenfalls gemäß dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab dem 28.06.2025 verpflichtet, Ihre Apps, Ihre Online-Shops und die damit verbundenen digitalen Dokumente oder Webseiten barrierefrei zu gestalten.

Leiten Sie diese Information zeitnah an die Verantwortlichen in Ihrer Organisation weiter und bilden Sie eine übergeordnete Task Force. Nutzen Sie Anbieter, deren Dienstleistungen barrierefrei sind – bzw. die Ihnen jetzt schon zusichern können, dass deren Dienstleistungen bis zum Stichtag barrierefrei sein werden. Planen Sie die Umsetzung rechtzeitig mit internen und externen Dienstleistern, um die geforderten Änderungen möglichst noch weit vor dem Stichtag zu realisieren. Anfang 2025 werden alle entsprechenden Dienstleister ausgebucht sein.Darüber hinaus werden es Ihnen Ihre Nutzer danken. Und Sie können eine zusätzliche Zielgruppe noch früher bedienen.

Tipp: Jeder Zweite in Deutschland würde von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren. Dabei ist nicht die Frage entscheidend, ob Sie als Organisation rein rechtlich unter das BFSG fallen. Sondern ob Sie die wichtige Zielgruppe der Menschen mit einer dauerhaften, temporären oder auch nur situationsbedingten Beeinträchtigung ausschließen wollen – als mögliche Kunden, Mitarbeiter, Partner oder Investoren. Denn Sie können mit Ihren bestehenden Mitteln – unterstützt durch Künstliche Intelligenz – Menschen mit Behinderungen nicht nur ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen, sie können gleichzeitig Ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Anforderungen umsetzen

Welche Zielgruppen besonders von digitaler Barrierefreiheit profitieren und wie Sie konkrete Anforderungen, die das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz enthält, auch KI-unterstützt umsetzen können, erfahren Sie hier. Nützliche Tipps sind auch im kostenfreien E-Book „Digitale Barrierefreiheit – barrierefrei kommunizieren“ enthalten.

Gabriele Horcher ist Expertin für die Kommunikations-Strategie.

Über die Autorin: Gabriele Horcher ist Expertin für die Kommunikations-Strategie der Zukunft. Sie beantwortet die wichtigsten Fragen zum  disruptiven Wandel in allen Bereichen der Kommunikation: in der Kommunikation mit Leads, Kunden, Mitarbeitern, Kollegen, Partnern, Investoren und sogar im privaten Bereich. Gabriele Horcher ist darüber hinaus Bestseller-Autorin und Transformational Coach. Sie fungiert als Sparringspartner für die Transformation von Kommunikation in allen Unternehmensbereichen. Seit zwei Jahrzehnten lehrt sie als Dozentin an Fachhochschulen und Weiterbildungseinrichtungen. (sg)

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