08.04.2022 – Kategorie: eCommerce
Chinesische Händler auf Amazon: 6 Tricks & Strategien der Verkäufer
Einige Großhändler aus dem asiatischen Raum überschwemmen die Marketplace-Plattform mit Angeboten und arbeiten mit unfairen Tricks, die es deutschen Händlern schwer machen, auf Augenhöhe dort zu verkaufen.
Für viele Onlinehändler in Deutschland ist der Amazon Marketplace ein wichtiger Verkaufskanal. Er erhöht den Umsatz und ist gerade für Händler mit einem speziellen Fokus ein wichtiges Standbein. Selbst angesichts der vergleichsweise hohen Provisionen, die einen Teil der Marge aufzehren, bleibt der Marketplace attraktiv. Denn Händler erreichen auf diesem Weg auch Kunden, die nicht auf ihren eigenen Shop gekommen wären. Und zugleich sparen sie Marketing-Budgets in anderen Kanälen.
Doch einige Großhändler aus dem asiatischen Raum überschwemmen die Plattform mit Angeboten. Damit reduzieren sie nicht nur die Visibility und die Conversion, sondern arbeiten auch mit unlauteren Tricks. Wir erklären, welche Tricks das sind und wie sich Verkäufer gegen die unfairen Geschäftspraktiken der chinesischen Händler auf Amazon zur Wehr setzen können.
1. Gekaufte Bewertungen: Amazons Kampf gegen Windmühlen
Der auffälligste und für die meisten Verkäufer wohl ärgerlichste Trick sind gekaufte Bewertungen, die mit einer beachtlichen Systematik und einer großen Zahl an bewertenden „Kunden“ abgewickelt werden. Diese bekommen den Preis für das Produkt erstattet und erhalten eine geringe Aufwandsentschädigung – und sorgen so für schnell steigende Bewertungszahlen. Und an denen orientieren sich gerade bei vielen gleichartigen oder ähnlichen Produkten die Kaufinteressenten. Im asiatischen Raum machen sich China-Seller die einmalige Funktionalität des chinesischen Messengers WeChat zunutze.
Über diesen lassen sich schnell und flexibel Produkt-URLs teilen und über die integrierten Payment-Funktionalitäten Bezahlungen für erfolgte Bestellungen und geschriebene Reviews abwickeln. Für Amazon, die zunehmend gegen die Netzwerkbetreiber und Unternehmen vorgehen, die gekaufte Bewertungen veranlassen, ist all das ein Kampf gegen Windmühlen. Denn die Kommunikation über WeChat ist schwieriger nachzuvollziehen als web-basierte Kommunikation oder Aktivitäten in Facebook-Gruppen. Hinzu kommt, dass chinesische Netzwerke hier mit einer beachtlichen Manpower rund um die Uhr dafür sorgen, dass binnen kürzester Zeit hunderte oder sogar tausende Bewertungen generiert werden.
Für Amazon steht hier viel auf dem Spiel . Denn Kunden und Händler verlassen sich nicht mehr auf das Bewertungssystem, wenn dessen Aussagekraft leidet. Daher kämpft Amazon nicht nur an der juristischen Front, sondern vor allem auch mit technischen Mitteln, Machine Learning und datenbasierten Verfahren, die Anomalien aufdecken sollen. Und doch müsste der Handelskonzern aus Seattle hier mehr tun, etwa – wie zuletzt – rigoros auch umsatzstarke chinesische Händler auf Amazon mit mehreren hundert Millionen Euro Umsatz permanent für den Verkauf auf der Plattform sperren, wenn diese ein falsches Spiel spielen.
2. Chinesische Händler auf Amazon: Negative Bewertungen und das „Upvoting“ von negativen Bewertungen
Bei einer anderen Strategie geht es darum, die Produkte der Konkurrenz mit schlechteren Bewertungen zu versehen. Denn schon wenige 1-Sterne-Bewertungen können den Review Score einer ASIN schnell empfindlich runterziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzen China-Seller ähnliche Mechanismen wie bei der Generierung von positiven Bewertungen für eigene Produkte. Sie generieren dazu über Dritte schlechte Bewertungen. Das passiert entweder nicht-verifiziert, also ohne dass Kunden das Produkt kaufen, oder über einen verifizierten Kauf, dessen Aufwand (Produktkosten sowie Prämie, siehe oben) dem Kunden ersetzt wird. Zusätzlich verstärkt werden kann diese Methode dadurch, dass anschließend die negativen Reviews von vielen „Kunden“ als „nützlich“ markiert werden. Solche Bewertungen können, wenn sie nur oft genug upgevoted werden, schnell an erster Stelle stehen. Damit lesen potenzielle Kunden zuerst eine 1-Sterne-Bewertung, was die Conversion negativ beeinflusst und den Abverkauf empfindlich stört.
3. ASIN Recycling: Same same, but doch komplett different
Auch der Trick mit den wiederverwendeten ASIN-Nummern zielt auf die Generierung von Reviews ab. Eine Amazon Standard Identification Number (ASIN) wird jedem Produkt gegeben, das über die Plattform zum Verkauf angeboten wird. Amazon nutzt ASIN-Codes zur einfachen Identifizierung und Gruppierung von Produktvarianten, die als das gleiche Produkt gelten . Und das machen sich chinesische Händler auf Amazon zunutze. Dabei werden bestehende Reviews von nicht mehr genutzten, da nicht mehr erhältlichen Produkten auf neue Produkte umgeleitet. Erstellt wird hierfür eine vermeintliche „Variante“, die mit dem ursprünglichen Produkt, auf das sich die vorhandenen Bewertungen beziehen, nichts zu tun hat.
Die Variante „erbt“ dann die Bewertungen des ursprünglichen Produkts und startet gleich mit einer großen Zahl an Bewertungen. Kunden können dies nur bei genauerem Hinsehen oder über gegebenenfalls vorhandene Bilder erkennen, die nicht mit dem Produkt übereinstimmen, welches durch den China-Seller angeboten wird. Doch gerade bei den ähnlichen Produkten, etwa Handyhüllen, IT-Zubehörteilen, Kabeln, etc. fällt es Amazon schwer, hier den Überblick zu behalten. Das müsste die Plattform aber tun, um einen fairen Handel zu gewährleisten.
4. Chinesische Händler auf Amazon und Fake Bestellungen bei Mitbewerbern: Der Kampf um die Buybox
Neben diesen auf die eigenen Produkte fokussierten Tricks sind auch aggressivere Taktiken zu beobachten, die gegenüber Konkurrenzhändlern angewendet werden: Eine Strategie besteht darin, Fake-Bestellungen bei Konkurrenten zu erstellen. Dabei wird den Warenbestand des Konkurrenten zunächst reserviert, was dazu führt, dass das Angebot des Konkurrenten als nicht verfügbar angezeigt wird. Die Bestellungen werden dann zu einem späteren Zeitpunkt storniert. Auf diese Weise manövrieren China-Seller ihre eigenen Angebote zwischenzeitlich in die Buybox und reduzieren für konkurrierende Produkten vorübergehend die Visibility. Denn die Buybox, also das Einkauswagenfeld, ist die Pole Position und sorgt für rapide steigende Umsätze. Sie ist stets nur für einen Verkäufer reserviert – und alle Mitbewerber landen derweil im Bereich „Andere Verkäufer“.
5. Produktmanagement: Mit Schwung auf den Markt – Erfolgreiches wird „gepusht“
Abgesehen von den hier geschilderten unlauteren Tricks sorgen einige weitere Praktiken dafür, dass die gut vernetzten China-Händler sich auf der weltweiten Plattform gegenüber westeuropäischen Händlern leichter tun. Denn China-Seller legen oftmals eine besondere Entschlossenheit und Risikobereitschaft an den Tag. Diese äußert sich in konsequenter Marketing-Optimierung und führt zum Launch einer Vielzahl von Produkten, die im Westen so gar nicht auf den Markt kämen. Dabei geht es um „Trial and Error“ und Quantität. Das was im Westen Marktforschung und Beta-Test ist, wird hier auf den Markt geworfen und agil optimiert – oder vom Markt genommen. So wird in Kauf genommen, dass die meisten Produkte nicht im Markt ankommen. Sobald ein Produkt jedoch Potential zeigt, wird dieses mit extremem Fokus „gepusht“.
Dabei konzentrieren sich China-Seller im Gegensatz zu den meisten deutschen oder europäischen Händlern oftmals zunächst auf den weltweit größten Markt, also die USA. Dort ist das Potential am größten – und ist ein Produkt dort erfolgreich, kann es oftmals mit dem dort gesammelten „Schwung“ auch in der EU auf den Markt gebracht werden. Das ist gerade in den Zeiten des „Global Review Sharing“ besonders mächtig. Die Schnelligkeit wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass die Zulieferer oftmals am selben Standort sitzen und es keine Sprachbarriere beim Einkauf gibt.
6. Netzwerk-Effekte: For Members only
Neben den bereits genannten Netzwerkeffekten bei der Beschaffung von Reviews gibt es auch „legale“ Netzwerkeffekte. Mit diesen unterstützen sich Händler im asiatischen Raum gegenseitig. Das funktioniert immer dann, wenn man nicht in der gleichen Kategorie tätig ist, also keine direkte Konkurrenz darstellt. Neben zahlreichen Händler-Events gibt es auch „Invite only“-Clubs. In diesen organisieren sich beispielsweise Seller, die nachweislich mindestens 10 Millionen Dollar pro Jahr über Amazon umgesetzt haben. Diese Gruppen vernetzen sich ebenfalls meist über Messenger wie WeChat und teilen Best Practices, Erfahrungen, Empfehlungen. Darüber hinaus melden sie sich auch neue Maßnahmen und Vorgehensweisen von Amazon – und wie diese umgangen werden können.
Lesen Sie auch: Amazon Marketplace – Was den deutschen Markt vom übrigen Europa unterscheidet.
Der Autor Pirmin Rehm ist erfahrener Gründer. Seit 2017 war er für Amazon Deutschland als Key Account Manager für den Amazon Marketplace sowie als Team Lead Marketplace Professional Services tätig. Nachdem er vier Jahren machte er sich mit Altitude Marketplaces GmbH als Amazon Consultant selbstständig. Er hilft seitdem Marken dabei, erfolgreich auf Amazon zu verkaufen, ihr Geschäft weiter auszubauen und zu optimieren.
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