20.06.2021 – Kategorie: Kommunikation

Conversational AI – Ist das die Zukunft des Kundenservices?

Conversational Commerce AIQuelle: TippaPatt/shutterstock

Der Chat mit virtuellen Agenten wird auch in Zukunft eine zunehmend bedeutendere Rolle einnehmen. Andreas J. Weick, Director Intelligent Process Automation bei GCI, erklärt unserer Chefredakteurin Christiane Manow-Le Ruyet im Interview, was genau unter Conversational AI zu verstehen ist. Außerdem verrät er, wie das Tool in der Customer Journey eingesetzt werden kann.

Christiane Manow-Le Ruyet: Was versteht man genau unter Conversational AI? Inwiefern kann ein virtueller Agent heute im eCommerce-Bereich eingesetzt werden?

Andreas J. Weick: Bei der Conversational Artifical Intelligence (Conversational AI) handelt es sich um automatisierte Dialogsysteme, die von künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Im Gegensatz zu einfachen Chatbots oder früheren Spracherkennungssystemen kann Conversational AI komplexere Ausdrücke in natürliche Sprache verstehen und frei formulierte Texte verarbeiten. Dadurch ermöglicht sie einen Dialog zwischen Mensch und Maschine, der annähernd einem Gespräch mit einer realen Person entspricht, da die Conversational AI ständig neue Ausdrucksweisen und Begriffe erlernt und verarbeitet.

Diese Eigenschaft macht die Conversational AI zu einem attraktiven Tool für den Bereich eCommerce. Dort gibt es zahlreiche Möglichkeiten, einen virtuellen Assistenten einzusetzen – entweder über ein Chat-Fenster oder ein sogenanntes Voice Gateway. Er kann beispielsweise als Concierge auftreten. Dabei nimmt er ein in natürlicher Sprache vorgetragenes Anliegen eines Kunden auf. Anschließend entscheidet er, an welche Abteilung er ihn weiterleitet. Möglich ist auch ein Aufritt als Berater, der Fragen zu Produkten oder laufenden Prozessen wie dem Lieferstatus beantwortet. Ein komplexerer Bot kann den Kunden sogar durch den gesamten Bestellprozess navigieren. Zu diesem Zweck erfragt er alle notwendigen Daten und leitet parallel die erforderlichen Aktivitäten im Hintergrund in die Wege. So kann der gesamte Prozess, von der Bestellung bis zur Lieferung, vollständig automatisiert werden.

Conversational AI: Virtueller Assistent muss Markenimage widerspiegeln

Welche Eigenschaften sollte ein virtueller Agent haben, damit er einen Mehrwert für ein eCommerce-Unternehmen liefert?

Das Gesamt-Design und die Entwicklung des Dialogs sind die wichtigsten Faktoren, die den Erfolg einer Conversational AI bestimmen. Hier gilt: Wie auch bei echten, menschlichen Beziehungen muss der Agent zur Zielgruppe passen. Seine Persönlichkeit und sein Auftreten, seine Sprache und Tonalität, sowie seine optische Erscheinung müssen dem Markenimage entsprechen. Dabei sollten vor allem jene spezifischen Kundensegmente berücksichtigt werden, die den virtuellen Assistenten tatsächlich nutzen. In Summe muss ein virtueller Assistent vor allem dazu beitragen, dass Anliegen der Nutzer – seien es nun Kunden oder auch Mitarbeitende – schneller und bequemer erledigt werden als durch menschliches Zutun.

Wie beeinflusst Conversational AI die Customer Journey?

Dank dem Einsatz von Conversational AI bekommt der Kunde die Möglichkeit, seine Anfragen, Bestellungen oder Informationsbeschaffungen bequem im Dialog abzuwickeln, anstatt ein meist ungeliebtes Formular auszufüllen. Aktuelle Erkenntnisse zeigen zudem, dass Nutzer auf Nachrichten über Messenger oder Chat besonders schnell und häufig reagieren. Das ist ein weiterer Punkt, der für den Einsatz von Conversational AI spricht. Während der Interaktion reagiert die Conversational AI unmittelbarer auf den Kunden. So kann ein Unternehmen die Customer Journey situativer gestalten und entlang der Touchpoints ein angenehmes Erlebnis für den Kunden erzeugen und ihn bestenfalls sogar begeistern.

Über den Bezahlvorgang bis hin zur Reklamation

Welche Services werden bald über den Chat mit dem virtuellen Agenten möglich sein, die bisher nur über den klassischen Weg, also über das Webportal, möglich sind (z.B. Aktualisierung von Kundendaten)?

Im Grunde kann eine gut etablierte Conversational AI alle Services übernehmen, die der Kunde aktuell eigenhändig über das Webportal tätigt. Das beginnt bereits bei einer einfachen Änderung der Kundendaten und geht weiter bis hin zur vollständigen Übernahme von komplexeren Kaufprozessen. So wäre beispielsweise das Buchen einer kompletten Dienstreise – inklusive Flug- und Bahnverbindungen, verfügbarer Hotels oder Mietwägen – nach im Vorhinein festgelegten Unternehmensrichtlinien möglich. Eine Conversational AI könnte aber auch eigenständig Produkte auswählen, einen Schaden oder eine Reklamation melden sowie einen Vertrag bei einem Mobilfunkanbieter, Versicherer oder Stromversorger abschließen.

In Zukunft wird es auch möglich sein, dass Kunden direkt im Chat, also im Austausch mit dem virtuellen Agenten, einen Bezahlvorgang durchführen. Wie darf man sich das genau vorstellen? 

Das Bezahlen während eines Chats funktioniert genau wie auf dem Webportal – nämlich über ein Plugin. Dadurch kann im Dialog ein kompletter Kauf inklusive Bezahlvorgang erfolgen, ohne dass der Kunde dafür zu einer anderen Webseite oder Landingpage wechseln muss. Stattdessen zeigt er ihm bereits im Chat die verfügbaren Bezahlmethoden an. Nach Kaufabschluss erhält der virtuelle Agent eine Rückmeldung vom Zahlungsdienstleister und schließt somit den Vorgang automatisch ab. Parallel zum gesamten Bezahlprozess werden Gespräche mit dem Kunden nahtlos fortgesetzt und weitere Anliegen bearbeitet.

Conversational AI in der Zukunft: virtueller Agent mit Augmented Reality

Schon heute wird im eCommerce über den künftigen Einsatz von Augmented Reality gesprochen. Ein virtueller Agent könnte auf diese Art und Weise auch Produkte direkt im Chat vorstellen. Zukunftsmusik oder bald Realität?

Technisch gesehen ist es keine Zukunftsmusik. Beide Technologien sind vorhanden und bereits im Einsatz. Vieles wird zwar noch erprobt, doch einige Unternehmen setzen Augmented Reality (AR) bereits im Vertrieb oder im Kundenservice ein. Wenn Kunden dies annehmen, die Technologien weiter reifen und die Kosten sinken, werden wir immer mehr solcher Angebote erleben.

Kann ein virtueller Agent in der Hinsicht also auch für Cross- und Upselling-Prozesse eingesetzt werden?

Ja, auch dafür kann ein virtueller Agent eingesetzt werden. Allerdings fehlt der Technologie nach wie vor das gewisse Gespür eines guten Verkäufers. Dieser ist in der Lage, sein Gegenüber zu lesen und spontan genau die richtigen Impulse auszulösen. Deshalb bedarf es eines gut durchdachten „Drehbuchs“ und einer sorgfältigen Auswahl, zu welchen Gelegenheiten ein Cross- oder Upselling durch einen virtuellen Agenten erfolgen kann. Gelingt dies, ergeben sich entlang der Customer Journey gute Möglichkeiten.

Welche weiteren Trends sehen Sie für die kommenden Jahre im Bereich Conversational AI? 

Generell wird der Einsatz von Intelligenter Automation deutlich zunehmen. Das bestätigt auch unsere jährliche CGI-Kundenumfrage. Neu hinzu kommt, dass Conversational AI zu internen Schulungszwecken genutzt wird. Zum Beispiel können virtuelle Kunden für Trainingszwecke entworfen werden, mit denen Mitarbeiter lebensechte Verkaufs- und Servicegespräche üben. Künftig wird die Sprachschnittstelle jedoch auch im geschäftlichen Kontext immer mehr an Bedeutung gewinnen. Kunden werden jederzeit über das Smartphone einen Einkauf tätigen, Termine buchen oder Anträge stellen können, und zwar ohne lästiges Tippen.

„Ein virtueller Assistent kann und wird den Menschen also nicht vollständig ersetzen“

Kann ein virtueller Agent in Zukunft auch Gefühlslagen einschätzen oder die Mimik lesen?

Ja, das wird in Zukunft möglich sein. Die Technologien sind hier schon sehr weit fortgeschritten und werden kontinuierlich weiterentwickelt. Die Conversational AI wird mit immer mehr Daten und Fähigkeiten angereichert, um Gesichter zu erkennen und die Gefühlslage des Kunden aus Mimik oder Sprache zu erfassen. CGI implementierte bereits seit mehreren Jahren erfolgreich solche Lösungen. In Finnland wird damit beispielsweise die Stimmungslage bei Konzerten evaluiert.

In welchen Situationen wird ein virtueller Agent auch in Zukunft an seine Grenzen stoßen und auf das Eingreifen eines menschlichen Ansprechpartners zurückgreifen müssen?

Uns wird es nicht so schnell gelingen, einer Künstlichen Intelligenz unser menschliches „Bauchgefühl“ mitzugeben – es ist nach wie vor fraglich, ob dies überhaupt jemals möglich sein wird. Außerdem werden Vorbehalte bestehen bleiben, Entscheidungen völlig in die Hand einer KI zu geben. Und es wird weiterhin Kunden geben, die lieber mit einer realen Person sprechen wollen oder virtuelle Agenten gänzlich ablehnen. Schließlich geht es um Beziehungen und Emotionen. Ein virtueller Assistent kann und wird den Menschen also nicht vollständig ersetzen, aber immer besser unterstützen.

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Conversational AI, Andreas J. Weick
Bild: CGI

Andreas J. Weick ist Director Intelligent Process Automation bei CGI.


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