Customer Experience: Glauben Sie nicht diesen Mythen
Um eine möglichst perfekte Customer Experience bemüht, gehen Unternehmen oft falsche Wege und folgen Mythen, die sich zwar hartnäckig halten und große Erfolge versprechen, dies aber nicht einlösen können.
Um eine möglichst perfekte Customer Experience bemüht, gehen Unternehmen oft falsche Wege und folgen Mythen, die sich zwar hartnäckig halten und große Erfolge versprechen, dies aber nicht einlösen können.
In einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company waren 80 Prozent der CEOs die Meinung, sie würden ihren Kunden eine exzellente Customer Experience bieten. Dummerweise waren nur acht Prozent der Kunden der gleichen Ansicht.
Dieses Feedback sollte zu denken geben, denn die Verbraucher haben mittlerweile eine größere Auswahl an Produkten und Dienstleistungen als jemals zuvor. Deshalb ist ein Umdenken, das zu einer ganzheitlichen Gestaltung der Customer Experience führt, gefordert. Denn nur so können die Produkte ihre Bekanntheit, ihren Share of Wallet und die positive Markenwahrnehmung ihrer Kunden stärken.
Im Bemühen um eine tadellose Customer Experience gehen die Unternehmen oft von falschen Annahmen aus – Mythen, die sich zwar hartnäckig halten und große Erfolge versprechen, dies aber nicht einlösen.
Die Konsequenz: Die Firmen hören auf die falschen Ratgeber und entwickeln ungeeignete Programme. Sie nutzen veraltete Technologien, die keine verwertbaren Erkenntnisse liefern. Hier werden vier Customer-Experience-Mythen vorgestellt, denen Unternehmen keinen Glauben schenken sollten. Denn sie könnten ihre Gewinne schmälern, Ressourcen vergeuden und ihrem Markenimage schaden.
Mythos Nr. 1: Katastrophale Fehler schaden einer Marke mehr als kleine Pannen
Es mag zwar einleuchtend erscheinen, dass ein grober Schnitzer dem Image mehr schadet als eine Serie kleiner Fehler, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Mehrere kleine Pannen oder systematische Versäumnisse richten mehr Schaden an als ein einziger Patzer riesigen Ausmaßes.
Der Grund: Der Mensch sucht überall unbewusst nach Mustern. Daher ziehen Abweichungen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings speichern wir solche Unregelmäßigkeiten instinktiv als irrelevant ab, wenn sie sich nicht persönlich auf uns auswirken. Katastrophen treten naturgemäß nicht sehr oft ein, und meist glauben wir, dass sie gerade uns nie passieren werden. Deshalb nehmen wir sie zur Kenntnis, bewerten – und ignorieren sie.
Zum Beispiel den Fall Adidas: Nachdem das Unternehmen jahrelang hinter anderen Sportmarken hinterhergehinkt war, gelang es Adidas, das Ruder herumzureißen: Es traf einige kluge Entscheidung und richtete den Fokus auf die Customer Experience. Die Firma besann sich auf die eigenen Markenwerte und fand heraus, dass Menschen Turnschuhe nicht nur zum Joggen kaufen, sondern auch als Fashion Statement. Einige Retro-Modelle verkauften sich extrem gut.
Doch im April 2017 trat die Katastrophe ein, als Adidas eine E-Mail mit folgendem Wortlaut an die Zieleinläufer des Boston-Marathons schrieb: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Boston-Marathon überlebt.“ 2017 jährte sich das Bombenattentat zum vierten Mal.
Die öffentliche Empörung war groß und vorhersehbar. Adidas postete deshalb eine offensichtlich aufrichtig gemeinte Entschuldigung. Die Umsätze von Adidas stiegen bis Ende 2017 um 31 Prozent, während die Erlöse der anderen führenden Anbieter im gleichen Marktsegment sanken: Nike hatte drei Prozent und Under Armour zwölf Prozent weniger Umsatz zu verzeichnen. Offensichtlich hatten die E-Mail und das folgende PR-Fiasko keine erkennbaren negativen Auswirkungen auf den Umsatz. Dagegen hätten sich wiederholte kleine Versäumnisse, beispielsweise eine durchgehend unangenehme Customer Experience, möglicherweise im Bewusstsein der Kunden festgesetzt. Für Adidas – wie für jedes andere Unternehmen auch – sind mehrere kleine Pannen letztendlich schädlicher für den Customer Lifetime Value als große Katastrophen.
Fazit: Erkennen und beseitigen Sie Faktoren, die den Kunden wirklich abschrecken. Nur so kann ein Unternehmen sein Geld effizienter investieren und sicherstellen, dass „blaue Augen“ rasch heilen.
Mythos Nr. 2: Schlechte Erfahrungen treiben den Kunden zur Konkurrenz
Glücklicherweise wechseln die meisten Kunden nicht gleich zur Konkurrenz, wenn sie eine schlechte Service-Erfahrung gemacht haben. Entspräche die Zahl der Kundenabwanderungen der Zahl der negativen Kritiken, könnte ein Großteil der Unternehmen innerhalb eines Monats einpacken.
Häufig bleiben die Kunden auch nach einem schlechten Erlebnis bei einem Anbieter, weil dieser ihnen Hindernisse in den Weg stellt. Man denke an die Familienpakete von Mobilfunkanbietern: Ist eine Person mit dem Paket unzufrieden, muss sie alle anderen davon überzeugen, ebenfalls zu kündigen.
Bei Fluggesellschaften funktioniert das ähnlich. Ein Fluggast, der mehrere Tausend Meilen gesammelt hat, kann die Schlangen an den Schaltern umgehen, es sich in der Lounge gemütlich machen und umsonst Gepäck aufgeben. Er ist wahrscheinlich etwas toleranter, wenn er ein paar schlechte Erfahrungen macht und bleibt weiterhin loyal.
Zufriedene Kunden wandern ab, wenn sie eine bessere Alternative finden. Auf ihre Loyalität kann man nur dann zählen, wenn sie in einer Zufriedenheitsskala im Kunden-Feedback die beste Möglichkeit wählen, also „voll und ganz zufrieden” sind.
Fazit: Viele unzufriedene Kunden kaufen ein Produkt weiterhin, auch nach einer schlechten Customer Experience. Dennoch sollten vorausschauende Unternehmen ihre Customer-Experience-Initiativen durch zusätzliche Maßnahmen ergänzen (zum Beispiel durch Treueprogramme), damit sich ihre Kunden „voll und ganz zufrieden“ fühlen.
Mythos Nr. 3: Mundpropaganda ist der Königsweg zum Erfolg
Studien wie das Global Trust Barometer bestärken Unternehmen in ihrem Glauben, dass Verbraucher den Empfehlungen ihrer Freunde, Familie oder Kollegen mehr vertrauen als Werbung. Positive Mundpropaganda eignet sich gut, um zu Beginn der Customer Journey das Bewusstsein, die Relevanz und die Wertschätzung einer Marke in der Öffentlichkeit zu stärken. Doch für den einzelnen Verbraucher hat die eigene Brand Experience (Markenerfahrung) letztlich mehr Gewicht als die Einschätzung anderer.
Das heißt nicht, dass Mundpropaganda keine wichtige Rolle spielen würde. Im Gegenteil – negative Mundpropaganda hat oft weitreichendere Folgen als positive, denn sie kann sehr viel vehementer und emotionaler sein. Deshalb sollten sich Unternehmen stärker gegen negative Äußerungen zur Wehr setzen, anstatt sich auf positive Empfehlungen zu konzentrieren.
Fazit: Mundpropaganda kann zwar als Initialzündung fungieren, hält den Motor aber nicht unbedingt am Laufen. Die Firmen sollten ihren Fokus deshalb stärker auf die Aspekte der Customer Experience legen, die leichter zu beeinflussen sind – statt zu viel Zeit, Energie und Ressourcen in die Generierung positiver Bewertungen zu stecken.
Mythos Nr. 4: Customer Experience ist das „neue Marketing“
Die Customer Experience hat einen erheblichen Einfluss auf Marke und Umsatz. Jedes Unternehmen sollte die Vorlieben, Bedürfnisse, Wünsche und Verhaltensweisen seiner Kunden beobachten und analysieren. Mit diesen Informationen lässt sich ermitteln, wie es den Share of Wallet steigern und gleichzeitig jene Kunden identifizieren kann, die potenziell abwandern oder auch zum Markenbotschafter werden könnten.
Patagonia beispielsweise bietet seinen Kunden eine großartige Customer Experience. Denn der Outdoor-Ausstatter orientiert sich an deren Werten – mit der Folge, dass seine Kunden ein „irrationales“ Kaufverhalten bei Patagonia-Produkten an den Tag legen. So kostet eine typische isolierte Steppjacke auf der Website von Patagonia beispielsweise 250 Euro. Ähnliche Jacken, die in den allermeisten Fällen auch einen ähnlichen Kälteschutz bieten, gibt es bei Walmart für weniger als 20 Euro.
Bei diesem Preisunterschied drängt sich die Frage auf, warum sich jemand für die Patagonia-Jacke entscheidet. Der Käufer wird so argumentieren, dass die teurere Jacke sehr gut verarbeitet sei und dass sie bei Schäden kostenlos repariert oder ersetzt werde.
Die Marktposition von Patagonia ist beneidenswert. Zum Preis einer Patagonia-Jacke könnten Kunden fünf oder sechs Jacken in unterschiedlichen Farben bei Walmart kaufen und hätten immer noch Geld für einen Kinobesuch übrig. Das ist der Effekt einer exzellenten Customer Experience.
Fazit: Customer Experience ist das „neue Marketing“. Die Unternehmen sollten mehr Zeit in ihre Geschäftsphilosophie, ihre Grundprinzipien und in die kleinen Dinge investieren. Sie sollten positives Kundenverhalten verstärken und gleichzeitig herausfinden, wie sie Marketing mit Customer Experience verbinden und somit eine ganzheitlichere Geschäftsstrategie entwickeln können.
Mythos und Realität
Blinde Markentreue gibt es nicht mehr. Die Kunden sind heutzutage selbstbewusst und gut informiert; sie erwarten ein homogenes Markenerlebnis. Um dieses Bedürfnis zu erfüllen, müssen die Unternehmen lernen, Sales, Marketing, Customer Experience und Marktchancen miteinander zu verbinden.
Customer-Experience-Messungen, die nur durchgeführt werden, um eine Bewertung zu verbessern, verfehlen das Ziel. Doch wenn die Customer-Experience -Verantwortlichen von den genannten Mythen Abschied nehmen und sich auf die wichtigsten Faktoren des Kundenverhaltens konzentrieren, dann können sie positiven Einfluss auf jeden Aspekt ihres Unternehmens nehmen. Auch auf das Gesamtergebnis.
Über den Autor: Luke Williams ist Head of Customer Experience bei Qualtrics, preisgekrönter Marktforscher und Co-Autor der New York Times-Bestseller „The Wallet Allocation Rule” und „Why Loyalty Matters.” Als vorausschauender Experte in den Bereichen Customer Experience, Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität, Kunden-ROI, Strategie und Analyse hat sich der gelernte Statistiker und Methodiker einen Namen gemacht. Darüber hinaus ist er Mitglied der Market Research Association (MRA) und der Customer Experience Professionals Association (CXPA).
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