18.03.2021 – Kategorie: Marketing

D2C: Wie ein Zweirad-Hersteller mehr Erfolg im E-Commerce erreichte

D2C Onlinehandel RetourenQuelle: William Potter/shutterstock

In der aktuellen Pandemie fällt es schwer, von Gewinnern zu sprechen. Aber einen, der von den Lockdowns profitiert hat, gibt es definitiv: den E-Commerce. Waren es 2019 noch rund acht bis elf Prozent Wachstum, wird für 2020 ein Wachstum von rund 16 Prozent erwartet. Insbesondere der Vertriebsweg D2C (Direct-to-Consumer) hat stark zugelegt und ist gerade für Hersteller attraktiv.

Eine Krise ist bekanntermaßen auch immer eine Chance. Und so entdecken derzeit viele Hersteller das Potenzial des Vertriebs per D2C. Gleichzeitig sehen sie aber auch die enormen Herausforderungen, die in der direkten Kundengewinnung bis hin zur deren Bindung liegen. Eine radikale Neuausrichtung, setzte man doch Jahrzehnte lang auf mehrstufige Vertriebsmodelle, oftmals als Firewall des Einzelhandels zwischen Kunde und Hersteller.

So auch unser beispielhafter Hersteller der Zweirad-Branche. Dessen primäre Ziele waren mit dem Nutzen von D2C eine Umsatzabsicherung und ein profitables Wachstum im E-Commerce zu erreichen. Spezialisiert auf den Vertrieb von Fahrrädern über große Handelsketten machte der E-Commerce-Anteil bislang einen Bruchteil des mehrstelligen Millionenumsatzes aus. Das sollte sich ändern und im ersten Schritt wurde dafür gemeinsam eine Roadmap über die nächsten fünf Jahre entworfen.

Die Zeitschiene zeigt: Wenn es wirklich ernst gemeint ist, bedarf solch eine Transformation eines längeren Atems. Hierbei gibt es mehrere Erfolgsfaktoren, deren Beherrschung zwingende Voraussetzung für den Aufbau von D2C-Strukturen und der Etablierung eines nachhaltigen D2C im Unternehmen ist. Insbesondere das Umdenken im Unternehmen auf „Online First“ ist ein längerfristiger Prozess.

D2C: Die wichtigsten Faktoren für den Erfolg

Wie waren die Erfolgsaussichten nach dieser ersten Analyse zu werten? Für uns sind in der Untersuchung zwei Elemente eines Geschäftsmodells entscheidend, nämlich wie klar die Marktpositionierung ist und ob es eine leistungsfähige Systemarchitektur gibt. Unser Beispielunternehmen hatte bereits eine klare Marktpositionierung, da seine Marke etabliert und die Markenbekanntheit ausgebaut war.  Aufholbedarf bestand jedoch, wenn man die folgenden Bereiche berücksichtigt:

  1. End-to-end-Verständnis der gesamten E-Commerce-Wirkungskette
  2. Transparenz und Steuerung über eine E-Commerce-Wertarchitektur
  3. Exzellente Customer Experience – mit Schwerpunkt Fulfillment und Kundenservice
  4. Kompetente und motivierte E-Commerce-Organisation
D2C
Die Erfolgsfaktoren im E-Commerce aus der Projekterfahrung von Struktur Management Partner. (Grafik: Struktur Management Partner)

D2C: End-to-end-Verständnis der gesamten E-Commerce-Wirkungskette

Ohne den persönlichen Kontakt zu einem Verkäufer im Einzelhandel wünschen sich die Bestandskunden Möglichkeiten zum direkten Kontakt zu unserem Hersteller. Gleichzeitig möchte unser Klient mit Neukunden wachsen. Was für Online-Pure-Player eine Selbstverständlichkeit ist und das tägliche Brot bedeutet, ist für viele Hersteller eine massive Veränderung. Um Kunden zu gewinnen, zu halten und zu überzeugten Personen, die die Produkte weiterempfehlen, zu machen, war es daher wichtig, zunächst die gesamte E-Commerce-Wirkungskette bei D2C zu verstehen und aktiv zu gestalten. Dazu galt es, die Basics der Traffic Generierung über die bekannten Online-Marketingaktivitäten (SEA, SMM und Newsletter) und Steigerungen der Onlinesichtbarkeit (SEO, Content-Generierung) zu schaffen.

Ist der professionelle Köder (Traffic-Generation) gelegt und der Kunde hat zugeschnappt, sind die Messlatten an den Online-Shop gesetzt: Kunden erwarten eine schnelle Übersicht über Leistungen und Produkte, einfache Bedienbarkeit, sowie schnelle und zielgerichtete Kaufabwicklung. Und hier haben Hersteller gerade bei beratungsintensiven Produkten als Kompetenzträger ein hohes Differenzierungspotenzial. Die Möglichkeit einer Video-Kaufberatung mit tatsächlichem Mehrwert für den Endkunden ist so ein Beispiel. Fragen oder Unklarheiten werden schnell beantwortet und damit einhergehend steigt auch die Kaufwahrscheinlichkeit (Traffic-Conversion).

Video-Content zieht an: 58 Prozent der unter 30-Jährigen schauen sich lieber Videos an als Text zu lesen. Mithilfe von Erklärvideos setzen sich die Konsumenten stärker mit dem Produkt auseinander und widmen ihm mehr Zeit – die Seitenverweildauer ist im Schnitt sogar doppelt so lang im Vergleich zu geschriebenem Content. Studien zeigen bis zu 80 Prozent höhere Conversions und eine deutliche Stärkung des Vertrauens in das Produkt bei mehr als der Hälfte der Online-Shopper, die sich vorher ein Produktvideo angesehen haben.

Hat man den Kunden erst einmal gewonnen, ist eine langfristige Bindung an die eigenen Produkte essenziell (Customer Retention). Wenngleich sich unser Zweirad-Hersteller niedriger Client-Acquisition-Costs erfreut, darf die Bedeutung eines treuen Kundenstamms auch in der digitalen Sphäre nicht unterschätzt werden. Unternehmen geben im Durchschnitt 78 Prozent des digitalen Marketingbudgets für Neukundenakquise aus. Jedoch müssen im Schnitt zunächst sieben Erstkäufer gewonnen werden, um das Umsatzvolumen eines Stammkunden zu erzielen. Bestandskunden kaufen um 50 Prozent häufiger ein neues Produkt und geben im Durchschnitt 31 Prozent mehr aus als ein typischer Neukunde. Neukundengewinnung ist im Vergleich zur Bestandskundenbindung also mit mindestens fünfmal so teuer.

Ein Unternehmen sollte daher sein „Datengold“ nutzen, um seine digitalen Kunden besser kennenzulernen und zu verstehen. Dies kann über individuelle Service geschehen, wie personalisierte Bestellbestätigungen, Produktempfehlungen auf Basis der Kaufhistorie sowie wohldosierte spezifische Angebote, Geschenke, In-App Nachrichten oder Push-Benachrichtigungen und Glückwünsche. Auf diese Weise kann das Unternehmen den Kunden eine deutlich verbesserte Customer Experience bieten, da die persönliche Betreuung und Beratung vor Ort ein Stück weit in die digitale Welt übertragen wird. Zudem zeigt eine Umfrage der Bitkom, dass 56 Prozent der Online-Einkäufer Kundenbewertungen als Entscheidungshilfe nutzen, wenn sie diese für glaubwürdig halten (Weiterempfehlung).

Transparenz und Steuerung über eine E-Commerce-Wertarchitektur

Ist der E-Commerce für einen etablierten Hersteller Neuland, sind die zu erreichenden Kennzahlen und vor allem deren Benchmarks Erfolgsindikatoren. Hier setzt unsere E-Commerce-Wertarchitektur an. Sie kombiniert branchenspezifische Benchmarks mit der unternehmensspezifischen Performance und zeigt schnell die Handlungsfelder für profitables Wachstum im E-Commerce auf.

Beginnen wir mit dem obersten Ast, dem Umsatz. Wesentlicher Treiber sind die Kennzahlen der End-to-end-Wirkungskette – sowohl was die Neukundengewinnung angeht als auch die Betreuung und Bindung der Bestandskunden. Insofern spielen Kaufhäufigkeit, Bestellwert, Storno- und Retourenquoten ebenfalls eine wichtige Rolle. Das Pricing unseres Zweirad-Herstellers liegt zum Teil durchaus über den Einzelhandelspreisen. Hier ist allerdings zu beachten, dass der Kunde für seinen Kontakt zum Hersteller in Form eines exzellenten Services belohnt wird.

Ein entscheidender Vorteil der Hersteller gegenüber den reinen Online- oder Plattformhändlern zeigt sich oftmals in den deutlich höheren Deckungsbeiträgen im E-Commerce-Modell D2C. So war es auch im Fall unseres Klienten. Trotzdem gilt es, die zu erreichenden Margen mit den zusätzlichen Kosten, die durch Marketing, Kundenbetreuung und Auftragsabwicklung entstehen, zu tilgen. Gerade die Beherrschung des Prozesses und die Deckung der Auftragsdurchlaufkosten für Losgröße 1 stellen viele Hersteller vor Herausforderungen. 

D2C Struktur Management Partner
Kombination von branchenspezifischen Benchmarks mit der unternehmensspezifischen Performance. (Grafik: Struktur Management Partner)

Wenngleich Marketing-Kosten online in der Regel aufgrund ihrer Performanceorientierung deutlich niedriger sind als im traditionellen Marketing und auch weniger Streuverluste erzielen, zeigen unsere Praxisbeispiele mit Kosten-Umsatz-Relationen (KUR) von teilweise über 25 Prozent, dass hier die Gefahr besteht, massiv Geld zu verbrennen. Doch die Vorteile bei richtig dossiertem Einsatz überwiegen: Online-Marketing zielt besser auf exakt vorgegebene Zielgruppen ab (zielgenaues Targeting, personalisiert), ist kontinuierlich anpassbar bzw. optimierbar, ist schneller umsetzbar und ermöglicht eine bessere Erfolgsmessung durch Analysetools. So sind die Kosten bei der Lead-Generierung mit Content Marketing um bis zu 61 Prozent niedriger als mit klassischen Marketingmaßnahmen.

Eine weitere Fragestellung, die viele unsere Kunden und auch unseren Beispielkunden bewegen, ist der dafür notwendige Overhead und die zugehörige Infrastruktur. Im Mittelpunkt der Entscheidung steht dabei, welche Kompetenzen ein Hersteller ohne tiefergehende Erfahrung im E-Commerce vom Start an selbst benötigt und welche zugekauft werden. Auf dieser Entscheidungsbasis wird die E-Commerce-Organisation aufgebaut und kostenseitig optimiert.

D2C: Exzellente Customer Experience – Schwerpunkt Fulfillment und Kundenservice

Anders als im B2C-Bereich muss unser Zweirad-Hersteller nun zusätzlich zu den Bestellungen aus dem Einzelhandel häufig Kleinstmengen oder Stückzahl 1 abwickeln. Dies erfordert in der Regel angepasste Prozesse insbesondere im Lager und im Versand, um eine schnelle, pünktliche, fehlerfreie und schadensfreie Lieferung der Ware zu ermöglichen. Der Betrieb eines eigenen Lagers erfordert gleichzeitig die Einhaltung hoher Qualitätsansprüche, um die Kosten dauerhaft zu kontrollieren. Um die Prozesse zu optimieren, wurde zusätzlich der Handel miteinbezogen: beispielsweise durch Click-and-Collect oder indem im Onlineshop des Herstellers die Abwicklung von Beständen beim Händler einbezogen wurde.

Auch der Kundenservice sollte nicht unterschätzt werden. Früher wickelte dies der Einzelhandel oftmals ab. Diese Firewall zwischen Kunden und Hersteller geht durch den Direktvertrieb verloren und muss vom Hersteller sichergestellt werden. Kunden erwarten die Erreichbarkeit des Herstellers und eine entsprechende fachliche Kaufberatung sowie Servicegespräche für den Produkteinsatz oder für die Bestellung der richtigen Ersatzteile. Außerdem sind die Fragen, Wünsche und Probleme andere als die eines Händlers oder einer Werkstatt.

Kompetente und motivierte E-Commerce-Organisation

Die endkundenzentrierte Ausrichtung unseres Beispielklienten war somit zentraler Bestandteil der E-Commerce-Roadmap. Der Wandel vom reinen Hersteller zum Vertriebsweg D2C erfordert neue Denk- und Arbeitsweisen sowie neue Prozesse und Verantwortlichkeiten im Unternehmen. Und das vor dem Hintergrund, dass das Bestandsgeschäft weiterlaufen und parallel entwickelt werden muss. Unser Zweirad-Hersteller muss nun klären, wer neben den Händleranfragen die zunehmenden Kundenanfragen und -reklamationen bearbeitet. Kompetenzen und Routinen hierfür müssen gegebenenfalls von den Mitarbeitern neu erworben oder ergänzt werden.

Um eine erfolgreiche E-Commerce-Organisation aufzubauen, sollten daher zunächst die Strategie und die Ziele definiert, in Einklang mit der Gesamtstrategie gebracht und zwingend quantifiziert werden. Nur so lässt sich die Ambidextrie der in der Regel beschränkten Investitionsvolumina nach den zu erwartenden Ertragshebeln clustern und daraus resultierend die Zielgruppen, das Produkt- und Serviceangebot sowie die zu bespielenden Kanäle priorisiert und mit dem Ressourcenbedarf hinterlegt werden.

Strategie ist das eine. Wirksamkeit das andere – und entscheidende. Die Customer Journey bei D2C bringt Klarheit darüber, welche Berührungspunkte welcher Kunde entlang der Wirkungskette und der Auftragswicklung sowie After Sales und Service mit dem Unternehmen hat. Aus den Kundenanforderungen in Kombination mit den Produktgruppen unseres Zweirad-Herstellers wurde folglich im nächsten Schritt ein stringentes Operating Model abgeleitet, um über die wahrzunehmenden Rollen und deren Besetzung im Organigramm zu entscheiden. Dabei sind auch Überschneidungen und Schnittstellen mit der bestehenden Organisation zu berücksichtigen. So wurde bei unserem Zweirad-Hersteller identifiziert, welche Rollen in den kommenden Jahren entsprechend der Roadmap priorisiert noch zu besetzen waren. Darauf aufbauend wurden die entsprechenden Stellen ausgeschrieben.

D2C: E-Commerce ist beherrschbar, erfordert aber …

Gerade die Chancen etablierter Markenhersteller, sich erfolgreich online aufzustellen, sind trotz des umkämpften E-Commerce Markts hoch. Um als Hersteller in diesem hoch dynamischen E-Commerce mit D2C langfristig zu bestehen, ist es erforderlich, die Kunden und deren Anforderungen an einen Verkäufer zu verstehen und das Unternehmen darauf auszurichten. Damit solch eine Neuausrichtung die gewünschten Ertragshebel realisiert, muss man ein Verständnis der E-Commerce Wirkungskette gewinnen. Nur so können die Kosten und Prozesse für Kundengewinnung im Onlinemarketing eingeschätzt und für das Kundenhandling vor allem im Fulfillment unter Bezugnahme auf ökonomischen Metriken im digitalen Kontext gestaltet und kontinuierlich optimiert werden.

Die Orientierung an einer E-Commerce-Wertarchitektur mit ständigem Abgleich der eigenen Leistungsfähigkeit am Markt ist dazu ein hilfreiches Instrument und zeigt Handlungsfelder schnell auf. Die systematische Überprüfung unserer sechs definierten Erfolgsfaktoren ermöglicht eine schnelle Evaluation der Leistungsfähigkeit der E-Commerce-Organisation und stellt einen höheren und schnelleren Return der eingesetzten Ressourcen sicher.

Über die Autoren: Benjamin Klenk und Raphaël Bonvecchio sind tätig bei Struktur Management Partner. Die Beratungsgesellschaft ist spezialisiert auf das Turnaround-Management und hat bereits über 750 Projekte erfolgreich umgesetzt. (sg)

Lesen Sie auch: Direct-to-Consumer am Scheideweg: Wie das Modell zum Markenerfolg beitragen kann



Scroll to Top