Das digitale Zeitalter verändert Leistungsangebote und Vertrieb im B2B
2012 setzten B2B-Unternehmen laut Institut für Handelsforschung Köln über Online-Shops nur 15,6 Prozent des Gesamtumsatzes von 870 Milliarden Euro um. Die Zahl der Internetnutzer steigt – und mit ihr auch die Zahl der potenziellen Online-Shopper. Aus diesem Grund lassen sich auch höhere Umsätze für B2B-Unternehmen im E-Commerce prognostizieren. Auf dem Weg ins E-Business stehen B2B-Unternehmen vor großen Herausforderungen – die E-Commerce Brand-Agentur Votum hat im Auftrag des e-commerce Magazins mit Prof. Dr. Ove Jensen, Lehrstuhlinhaber für B2B-Marketing und Vertrieb an der Otto Beisheim School of Management, gesprochen.
VOTUM: Sie sind Professor für B2B-Marketing an der Otto Beisheim School of Management. Gibt es für Sie Unterschiede im Kaufentscheidungsprozess zwischen B2B- und B2C-Kunden?
Prof. Dr. Ove Jensen: Der Unterschied zwischen B2B und B2C lässt sich an der Anzahl der Personen festmachen, die die Einkaufsentscheidung treffen. Im B2C handelt es sich meist um eine Person (mit Ausnahme der sprichwörtlichen „Familienentscheidungen“), während es sich im B2B meist um mehrere handelt. In der Mitte zwischen klassischem B2B und B2C bewegt sich das Geschäft mit gewerblichen Kunden wie Handwerkern oder Dienstleistern wie Ärzten und Rechtsanwälten. Die Beschaffungsentscheidung im B2B wird von Budgetgebern, technischen Spezifizierern, Nutzern und Einkäufern beeinflusst. Ein großer Trend ist, dass kaum jemand mehr allein entscheiden kann und die meisten Beschaffungsentscheidungen durch Gremien gehen.
VOTUM: Sie geben Management-Seminare für führende deutsche Unternehmen. Was sind die größten Herausforderungen für B2B-Entscheider auf dem Weg ins digitale Zeitalter?
Prof. Dr. Ove Jensen: Das digitale Zeitalter verändert zum einen die Leistungsangebote und zum anderen deren Vertrieb. Im Leistungsangebot sind heute neue Dienstleistungen möglich, z.B. Tracking-Services für Lieferungen, die Ferndiagnose von Maschinen über das Netz – die Liste ist lang. Im Vertrieb besteht die große Herausforderung darin, dass die Kunden über das Internet sehr gut über Produkte und Preise informiert sind. Die Anbieter müssen aufpassen, dass ihre Verkäufer über die reine Informations- und „Postbotenfunktion“ hinaus einen Beratungsmehrwert bieten. Sonst sind Verkäufer für den Kunden eher „lästig“, und die Beschaffung erfolgt über das Internet. Bei standardisierten, vergleichbaren Beschaffungsprodukten wie Schrauben und Werkzeugen ist der Online-Kauf eine immer weiter verbreitete Alternative zum persönlichen Kauf.
VOTUM: Viele B2B-Unternehmen besitzen langjährig bewährte klassische Vertriebsstrukturen und setzen zukünftig auch auf eine digitale Strategie. Was müssen B2B-Unternehmen beim Einstieg ins E-Business berücksichtigen?
Prof. Dr. Ove Jensen: E-Business ist ein sehr breiter Begriff, der ja nicht nur Themen wie Online-Marketing im Vertrieb umfasst, sondern auch Extranets im Betrieb, z.B. zum automatischen Abgleich der Bestände in der Warenwirtschaft. Im Produktionsbetrieb ist E-Business schon viel weiter als im Vertrieb entwickelt. Dort sollten Anbieter berücksichtigen, dass sich die Kunden, bevor sie einen Verkäufer kontaktieren, im Internet informieren. Daher sollten die Anbieter aktiv Kontakte durch Online-Marketing generieren, d.h. über Search Engine Marketing, Conversion-Optimierung und Traffic-Identifikation auf der Webseite. Man sollte z.B. nicht alle Produktbroschüren zum anonymen Download auf die Webseite stellen, sondern durch eine vorgeschaltete Adressabfrage einen Lead erzeugen. In vielen Fällen wird der Online-Lead dann von einem Menschen zum Abschluss gebracht, man nennt das Hybrid Selling. Wenn Unternehmen einen reinen Online-Verkaufskanal aufmachen, sollten sie insbesondere Preiskonflikte mit anderen Vertriebskanälen im Auge behalten. Für die Provisionen des Vertriebs sollte man berücksichtigen, dass ein Kunde sich persönlich beraten lässt, aber dann online kauft.
VOTUM: B2B-Kundenbeziehungen sind im Gegensatz zum B2C in den meisten Fällen langfristig und persönlicher. Welche digitalen Marketingkanäle versprechen Ihrer Meinung nach im B2B den größten Erfolg? Wie schätzen Sie die Relevanz von Social-Media-Aktivitäten für B2B-Unternehmen ein?
Prof. Dr. Ove Jensen: Wichtig für B2B-Vertriebsorganisationen ist weniger die Präsenz in sozialen Medien wie Facebook, sondern eher die Präsenz in Portalen wie industrystock.de, exportpages.de, directindustry.de oder werliefertwas.de. Der einzelne Verkäufer jedoch sollte seine soziale Vernetzung über LinkedIn oder Xing nicht vernachlässigen, denn Kontakte und Beziehungen lassen sich dort sehr gut pflegen. Viele Top-Verkäufer entfalten heute über E-Mail-Austausch, Threema und WhatsApp, Xing und LinkedIn eine Präsenz bei ihren Kunden, die sie allein mit Telefon und persönlichen Besuchen nicht hinbekämen.
VOTUM: Content-Marketing war in den vergangenen Jahren eines der Buzzwords im Online-Marketing. Wie wichtig sind Content-Strategien für B2B-Unternehmen?
Prof. Dr. Ove Jensen: Wie bei allen Moden verbinden viele Menschen unterschiedliche Dinge mit Content Marketing. Ich verstehe es hier im Sinne von redaktionellen Inhalten, die den Kunden als Fachbeiträge – im Gegensatz zu Werbung – ansprechen. Strategie- und IT-Berater nutzen diesen Weg, z. B über White Papers und Kundenzeitschriften, schon sehr lange und haben sehr gut eingespielte Prozesse mit interner und externer PR-Unterstützung. Ich frage mich allerdings, wohin es führen wird, wenn jeder Anbieter verstärkt Inhalte in die Welt verbreitet. Bereits heute kommt jede Woche eine neue „Erfolgsfaktorenstudie“ als Kooperation einer Beratung oder einer Hochschule um die Ecke, deren Aussage durch die selektive Stichprobe verzerrt ist. Bereits heute wimmeln viele Zeitschriften von Artikeln, denen man anmerkt, dass sie von fachfremden PR-Leuten geschrieben wurden – ein reines „Bullshit-Bingo“. Darin werden häufig „Handlungsempfehlungen“ ausgesprochen, die banal sind und „Prozessmodelle“ entworfen, die mit „Analyse“ beginnen und mit „Implementierung“ enden. Also: Content-Strategien sind wichtig, aber sie müssen inhaltlich sehr konkret und sehr intelligent sein, sonst schaut sich niemand mehr die vielen Beilagen und Mailings an.
VOTUM: Die Nutzung von mobilen Endgeräten entwickelt sich rasch. Auf Smartphones und Tablets ist die vorhandene Produktkomplexität im B2B-Bereich jedoch oft schwieriger darstellbar. Wie sehen Sie die Chancen der Entwicklung des Mobile Commerce im B2B-Bereich?
Prof. Dr. Ove Jensen: Sicherlich wird man keine CNC-Maschine über das Mobiltelefon kaufen. Aber Informationen holen Entscheider natürlich auch über ihre mobilen Geräte ein, gerade auf Reisen. Insgesamt sind die Erwartungen der Entscheider im B2B durch ihre Erfahrungen mit Interfaces im B2C-Bereich geprägt. Der Kunde erwartet heute schlichtweg auf allen Kanälen Interaktionsmöglichkeiten ohne Medienbrüche. Das ist für die Anbieter sehr teuer, aber ein nicht zu vermeidender Hygienefaktor geworden. Gerade im Mittelstand sehen viele Webseiten nach B2C-Maßstäben altbacken aus und sind nicht für mobile Nutzung optimiert. Ich finde übrigens, dass Anbieter mit ihren Kunden noch viel zu selten über Video via Hangout, Facetime und ähnlichen Formaten kommunizieren, die viel persönlicher als ein reines Telefonat sind.
Zu Professor Dr. Ove Jensen: Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftliche an der Otto Beisheim School of Management und einer mehrjährigen Tätigkeit als Marketing- und Vertriebsberater promovierte und habilitierte Ove Jensen 2001 bzw. 2008 an Universität Mannheim. Seit 2007 ist er Lehrstuhlinhaber an der Otto-Beisheim School of Management für B2B-Marketing und Vertrieb und unterstützt als Projekt-Mentor zahlreiche Top-Unternehmen wie Bosch, Deutsche Bank und L`Oreal durch Management-Seminare. Die WHU – Otto Beisheim School of Management ist eine international ausgerichtete, privat finanzierte Wirtschaftshochschule.
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