30.06.2021 – Kategorie: Handel
Die letzte Meile in der Logistik: Innovatives Konzept oder unlösbare Hürde?
Der Druck auf die Logistik, immer schneller und flexibler zu liefern steigt. Das zeigen nicht zuletzt die explosionsartigen Gründungen von Dienstleistern, die damit werben, innerhalb kürzester Zeit an der Haustür zu klingeln. Im Vergleich dazu, bleiben große Supermarkt-Konzerne und ihre Online-Shops hinter der Konkurrenz zurück.
Doch wie sieht die Zukunft dieser Quick-Commerce-Lösungen aus? Und bleibt es bei der Lieferung per Fahrrad und Co.? Oder wird zukünftig breitflächiger auf den öffentlichen Nahverkehr, autonome Fahrzeuge oder Drohnen gesetzt? Wie steht es um die Ökobilanz dieser Modelle? Und wie sieht die Zukunft der letzten Meile in der Logistik auf dem Land aus?
Die magische letzte Meile in der Logistik
Betrachtet man die Warenströme, die tagtäglich in Deutschland zu Land, Luft und im Wasser unterwegs sind als logistisches Herz-Kreislaufsystem, so verhält sich die vielgestaltige, sogenannte “Letzte Meile” zu den Hauptverkehrsadern, wie die Kapillargefäße zu unseren großen Arterien. Was sich über Lagerhallen und großräumige Transportmittel gebündelt relativ leicht von einer Großregion in einer andere verbringen lässt, wird zur logistischen Herausforderung, wenn es um die Belieferung des Endverbrauchers geht. Nicht nur entsteht auf der letzten Meile ein Großteil der Treibhausgasemissionen, sie verursacht in der Lieferkette die größten Kosten. Die umweltfreundliche und sozialverträgliche Gestaltung der letzten Meile ist der Heilige Gral der Logistik. Denn das Problem ist zu vielschichtig, als dass eine “One-Size-Fits-All-Lösung” die Antwort sein könnte.
Quick Commerce – Innovation der Zukunft?
In der Liste zu früh gekommener Innovationen nimmt die schnelle Lieferung von Lebensmitteln an die Haustür einen der oberen Ränge ein. Das Unternehmen WebVan, das 1999 mit einer Finanzierung von 1,2 Milliarden Dollar und dem Anspruch an den Start ging, online bestellte Lebensmittel am darauffolgenden Tag innerhalb eines 30-minütigen Zeitfensters zu liefern, fand leider bereits 2001 sein Ende. Die Verbraucher:innen waren schlicht noch nicht bereit für das Geschäftsmodell. Heutige Erben dieser Idee treffen auf eine völlig veränderte Realität und ein durch eine globale Pandemie verändertes Konsumverhalten.
Lebensmittellieferungen taten sich seit einiger Zeit in Form von Angeboten großer Einzelhandelsketten oder spezieller Nischenangebote lokaler Produzenten schwer, Fuß zu fassen. Währenddessen übertrifft der Quick-Commerce-Boom mit Lieferungen innerhalb von 10 Minuten alles zuvor Dagewesene. Betrachtet man die Situation jenseits des Hypes einmal neutral, existieren diese Unternehmen aktuell einzig durch riesige Summen Risikokapitals. Im Markenaufbau wird ohne Rücksicht auf Verluste viel Geld verbrannt und die Mitarbeitenden unter fragwürdigen Bedingungen beschäftigt. Operative Gewinne sind mit dem aktuellen Geschäftsmodell auf Jahre hin unwahrscheinlich.
Im Fazit ist Quick-Commerce eine interessante Entwicklung. Auch wenn sich durch den konsequenten Einsatz von E-Bikes und die Mikrolager an der Ökobilanz nicht meckern lässt. Typisch jedoch für neue Plattform-Dienste versuchen die Anbieter durch künstlich niedrige Preise sich ihren Markt erst einmal zu schaffen. Schaut man sich Vorbilder wie Uber in den U.S.A. an, ist klar, dass die Preise über kurz oder lang anziehen werden. Die Frage ist nur, ob bis dahin der Supermarkt noch existiert, oder maßgeblich an Marktanteil verloren hat.
Letzte Meile in der Logistik in der Stadt
Das Interessante am Quick Commerce ist, dass bereits vorhandene Lösungen für die letzte Meile in der Logistik zu einem innovativen Gesamtkonzept kombinieren. Auch wenn Mikrodepots oder Fahrradkurriere auf E-Bikes für sich genommen nichts Neues darstellen. Man kann sich also durchaus von diesem Ansatz inspirieren lassen. Mehr fair bezahlte Arbeitsplätze wären ein großer und machbarer Fortschritt für die letzte Meile in der Logisitk. Sie sorgen dafür, dass Waren umweltfreundlich von den über die Stadt verteilten Mikrolagern bis an die Haustür gelangen. Doch auch hier sind noch längst nicht alle Herausforderungen gelöst.
Die potenziellen Standorte für Mikrodepots sind in besten Innenstadtlagen hart umkämpft. Hinzu kommt, dass bisherige Versuche mit Mikrolagern stark öffentlich subventioniert sind. Ob die Corona-Pandemie und eine mögliche Umstrukturierung des Immobilienmarktes, durch eine Reduzierung von Büroräumen oder dem Rückzug klassischer Einzelhändler, dies mittelfristig ändern könnten, ist noch nicht abzusehen. Noch vielversprechender und bereits sehr etabliert sind Paketstationen. Würde eine Einigung zwischen den unterschiedlichen Anbietern auf ein gemeinsames System gelingen, wäre hier sogar noch mehr Potenzial.
Auch bei den Transportmitteln tut man sich schwer. So sind beispielsweise (E-)Lastenräder teuer in Anschaffung und Unterhalt. Dementsprechend endet die einstige Erfolgsgeschichte der E-Scooter der Post nächstes Jahr in einem Produktionsstopp. Eine Handvoll Start-ups versprechen nun an logistischer E-Mobilität zu liefern, was die Automobilbranche Jahre verschlafen hat.
Das Verkehrsministerium hat sich Ende 2020 klar zur Idee positioniert, Pakete auch per ÖPNV auszuliefern. Erste Versuche mit Straßenbahnen hat es bereits gegeben. Allerdings fehlt für die wirkliche Machbarkeit noch die notwendige Infrastruktur. Zum Beispiel passende Haltestellen und spezielle Güterwaggons für S-Bahnen und Trams. Sobald diese vorhanden sind, könnte der ÖPNV-Transport ein Teil im Letzte-Meile-Puzzle darstellen.
Letzte Meile in der Logistik auf dem Land
In ländlichen Regionen bietet sich ein gänzlich anderes Bild. Große Teile der Infrastruktur, die in der City-Logistik mitgenutzt werden können, existieren hier nicht. Doch was im chaotischen Stadtverkehr nach wie vor unlösbare Hürden darstellt, könnte für den ländlichen Raum bereits früher den Durchbruch erleben: autonome Lieferroboter. Bisher haben die medial groß inszenierten Drohnenlieferungen sich nur in Nischenbereichen, wie etwa medizinischen Transporten etabliert und werden es vielleicht nie über die regulatorischen Hürden und gebauten Realitäten unserer Innenstädte hinausschaffen. Auf dem Land allerdings stellen sich viele der innerstädtischen Herausforderungen nicht und auch regulatorisch sind langsam Fortschritte zu verzeichnen. Sowohl der Luftraum als auch der Straßenverkehr gestalten sich weniger komplex, sodass sich hier Autonomie wesentlich früher etablieren und so zu einer einfacheren und ressourcenschonenderen letzten Meile auf dem Land beitragen könnte.
Wer in ländlichen Gegenden unterwegs ist, dem fällt auf, dass eine große Zahl kleiner Ortschaften einst einen Bahnhof besessen hat. Tatsächlich sind allein seit dem Jahr 2000 über 300 Bahnhöfe stillgelegt worden. Vielerorts sind Schiene und Infrastruktur noch vorhanden und bedürften nur einer Modernisierung, um reaktiviert zu werden. Hinzu kommt, dass obwohl eine Wiederbelebung des Schienennetzes mit einem erheblichen Kapitalaufwand verbunden ist, die Schiene bei mittelfristig steigenden CO₂-Preisen betriebswirtschaftlich günstiger zu werden verspricht. Würden Bund und Bahn sich jedoch zu einem entsprechenden Programm bekennen, könnte nicht nur viel Personenverkehr, sondern perspektivisch auch mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagert werden, um den ländlichen Raum besser anzubinden und attraktiver zu gestalten.
Das letzte Wort wurde noch nicht gesprochen
Dieser Überblick zeigt viele Herausforderungen beim Thema letzte Meile in der Logisitk auf, soll jedoch auch belegen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. So vielschichtig das Thema letzte Meile ist, so vielschichtig müssen auch die Lösungsansätze sein, die es verstehen Nachhaltigkeit und Praktikabilität zu vereinen. Andererseits bedarf es der richtigen Anreize seitens der Politik, die Innovationen möglich macht und die wahren Lieferkosten einpreist. Letzteres kann nur durch einen aktiveren Dialog zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gelingen und jeder der Akteure sei aufgerufen auf die anderen zuzugehen und diesen Dialog einzufordern.
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Über den Autor: Der Berliner Seriengründer und Digitalexperte Matthias Friese steht XPRESS Ventures als Managing Partner vor. XPRESS Ventures ist ein in Berlin ansässiger Company Builder, der auf den Aufbau innovativer und disruptiver Start-ups – insbesondere in der Logistik – spezialisiert ist. Das Unternehmen mit seinen derzeit 10 Mitarbeitern wurde 2019 von dem familiengeführten Logistik Mittelständler FIEGE Logistik Stiftung & Co. KG aus Nordrhein-Westfalen gegründet
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