22.12.2022 – Kategorie: Handel
Einzelhandel: „50 Prozent der kleineren Handelszentren sind überflüssig“
Laut der GfK hat sich zum Weihnachtsgeschäft die Konsumlaune der Deutschen ein wenig verbessert. Aufgrund der Kaufkraftverluste privater bleibt die Lage im deutschen Einzelhandel auch 2023 angespannt. Marcus Diekmann, Gründer der Initiative „Händler helfen Händlern“, kommentiert die Zukunft von Handelszentren.
In ihrer heutigen Struktur haben viele deutsche Klein- und Mittelstädte keine Überlebenschance mehr. Der Niedergang des Handels kann aber seiner Meinung zur Chance werden. Kommunen sollten sich völlig neu erfinden: Als Orte voller Leben, Arbeit, Spaß, Gastronomie, Wohnen, Spielen, Sport und Kultur können diese Zentren neu aufblühen. Zugleich ist die Konsumlaune der Deutschen so schlecht wie schon seit über 30 Jahren nicht mehr. Der Umsatz im deutschen Einzelhandel wächst zwar weiterhin um 7,5 Prozent im Jahr 2022. Der Großteil entfällt jedoch auf höhere Ausgaben für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren. Zugleich stieg der Online-Handel in Deutschland laut Statista um 19,1 Prozent auf 87 Milliarden Euro im Jahr 2021.
Besonders fatal: Gerade, was früher klassisch in der Innenstadt gekauft wurde, wie Mode, Schmuck und Accessoires, Freizeit- und Hobbyartikel oder Elektronik hat jetzt die höchsten Anteile beim Onlineshopping. Anfang des Jahres prognostizierte der HDE drei Mal so viel Geschäftsaufgaben im Einzelhandel wie durchschnittlich in den Jahren vor der Pandemie. Aktuell rechnen Experten in absehbarer Zeit mit weiteren 50.000 Ladenschließungen.
Veränderungen als Chance begreifen
Die Schlussfolgerung für Handelsexperte Marcus Diekmann lautet: „50 Prozent aller kleinen und mittleren Handelszentren sind zukünftig überflüssig. Und das ist gut so, wenn wir die Situation als Chance zu einer echten Veränderung begreifen“. Abgesehen vom der Nahversorgung braucht ein lebenswertes und lebendiges Zentrum nicht zwangsläufig einen klassischen Einzelhandel. Die Kommunen können sich stattdessen auf die eigenen Stärken besinnen. Das sind Nähe, Zusammenhalt, Natur, günstigere Grundstücke und Mietpreise und der liebenswerte Charme von Klein- und Mittelstädten.
Die Faustformel von Diekmann lautet: Kommt Leben zurück ins Zentrum, kommen im nächsten Schritt auch wieder individuelle und großartige Handelskonzepte zurück. Er fordert dafür die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen: „Warum ist es immer noch nicht zulässig, in Handelsimmobilien zu leben? Wäre das möglich, könnte man beispielsweise Ladenlokale in Wohnraum oder Büros umfunktionieren“. In brachliegenden Immobilien können dann Coworking-Flächen, Gastronomie, Sport, Bibliotheken, Jugendzentren oder Kunst- und Kulturstätten entstehen. Zeitgleich Spielplätze in das Zentrum integriert und mehr Veranstaltungen und größere Märkte in der Stadt angeboten werden.
Einzelhandel im strukturellen Wandlungsprozess
Doch es braucht nicht nur gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, sondern zuerst ein radikales Umdenken und vor allem eine überregionale Abstimmung. Diejenigen Kommunen, die strukturell die Bedingungen erfüllen, weiterhin als Einkaufszentren zu bestehen, bauen ihren Handel innovativ aus und werden dabei von ihren Nachbar-Kommunen unterstützt, statt sich auch noch gegenseitig die verbleibenden Umsätze zu kannibalisieren.
Die anderen Kommunen begreifen das als Chance, sich völlig neu zu erfinden. Am Ende dieses Wandlungsprozesses sollten Klein- und Mittelzentren stehen, in denen sich die Menschen wieder gerne zum Wohnen, Arbeiten, für die Gemeinschaft, für Aktivitäten und zum gegenseitigen Austausch aufhalten. Dafür müssten Kommunen, Kulturschaffende, Immobilieneigentümer und Bürger gemeinsam ein Konzept entwickeln, was ihr Zentrum unverwechselbar macht.
Marcus Diekmann ist Mit-Gesellschafter und Beirat des mittelständischen Fahrradhändlers Rose Bikes. Als Handelsexperte berät er Unternehmen bei der digitalen Transformation. Am 19. März 2020 hat er die Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“ gegründet, als aufgrund der Corona-Pandemie deutschlandweit „nicht systemrelevante, stationäre Geschäfte“ schließen mussten. Dazu haben mittelständische Handelsunternehmen eine Gruppe auf der Karriereplattform LinkedIn ins Leben gerufen, die betroffene Unternehmer und Unternehmerinnen informiert und untereinander vernetzt. Die Initiative „Händler helfen Händlern“ zählt mittlerweile über 4.700 Mitglieder, darunter Händler, Handels- und Wirtschaftsverbände, Journalisten und Handelsexperten. (sg)
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Aufmacherbild: Gerhard Seybert – Adobe Stock
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