07.08.2022 – Kategorie: eCommerce

eProcurement-Plattformen: Wenn digitale Marktplätze verbinden

Bevor im Handel die Digitalisierung dem eCommerce den Weg bereitete, benötigten die Einkäufer in Unternehmen viel Erfahrung für das aufwändige Prozedere des eigentlichen Einkaufes und jede Menge Zeit.

Digitale eProcurement-Plattformen helfen, Ressourcen zu schonen und die Beschaffung effizient abzuwickeln: Mit nur wenigen Klicks können Vergleiche einzelner Lieferanten durchgeführt und Aufträge erteilt werden. Doch die Maschine verdrängt keinesfalls den Menschen – ganz im Gegenteil. Langwährende Beziehungen zwischen Einkäufern und Lieferanten helfen damals wie heute.

Beziehungen über eProcurement-Plattformen

Insbesondere im Mittelstand sind Geschäftsbeziehungen immer auch persönliche Beziehungen. Hier setzt man auf langjährige, vertrauensvolle Partnerschaften, die sich auch in einer Krise bewähren – egal, ob es um die Abwicklung von Aufträgen, die Einhaltung von Fristen, um flexible Reaktionen oder um echte Zusatzservices geht. Strategische Partnerschaften umfassen neben der reinen Lieferbeziehung auch den Austausch von Wissen, die Weiterentwicklung von Produkten und Prozessen oder gar gemeinsame Geschäftsaktivitäten. Diese Beziehung zwischen dem Unternehmenseinkauf und den Lieferanten zeigt auch in Zeiten von Remote Work, Hunderten von E-Mails pro Tag, Chatbots und Machine-2-Machine-Kommmuniktion ihre Bedeutung und Tragkraft.

Mehr Sorgfalt durch das Lieferkettengesetz

In Zukunft bedingen noch viele weitere Aspekte eine engere Kooperation: So verlangt das neue Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) ab Anfang 2023 eine höhere Transparenz entlang der gesamten Supply Chain, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie die Verletzung geschützter Rechtspositionen entlang der Lieferketten zu identifizieren, zu verhindern, zu beenden oder zumindest im Ausmaß zu minimieren. Denn oft enden bisher Gesetze an Landesgrenzen – die Geschäfte vieler deutscher Unternehmen aber nicht. Laut der Studie “Challenges 2022 – von Nachhaltigkeit bis Digitalisierung” des amerikanischen Softwareherstellers Aras Corp sind erst 35 Prozent der deutschen Unternehmen gut auf das LkSG vorbereitet. Am 21. Juni 2021 hat der Deutsche Bundestag das neue LkSG verabschiedet, das Anforderungen an Unternehmen in Bezug auf deren Einkauf und Lieferketten beinhaltet. Damit endet die Verantwortung der Unternehmen nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten globalen Lieferkette fort.

Diese Neuerungen stellen nicht nur Großunternehmen, sondern auch den industriellen Mittelstand vor Herausforderungen, da viele noch nicht wissen, wie die Forderungen zu deuten und Vorschriften umzusetzen sind. Das Lieferkettengesetz gilt ab 01. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 für Firmen mit über 1.000 Mitarbeitenden. Zudem hat die EU einen Vorschlag für eine weitere weitreichendere Richtlinie vorgestellt, bei der auch Mittelständler mit mehr als 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Umsatz von den Lieferkettengesetzsorgfaltspflichten betroffen wären. Wer seine Lieferanten kennt und auf langfristige, starke Beziehungen setzt, kann Lieferketten transparent nachvollziehen und ist in Sachen LkSG schon einen Riesenschritt voraus.

Enge und langfristige Einkäufer-Lieferanten-Beziehungen bestärken kann der sogenannte Bündelungseffekt. Damit verfolgen Unternehmen die Idee, den Bedarf auf eine geringe Anzahl von Systempartner zu reduzieren, sodass dadurch zwar nur wenige, dafür aber durchaus stärkere Beziehungen entstehen. Insgesamt führt das nicht nur zu einem höheren Vertrauen sowie einem besseren Support durch dedizierte Key-Accounter, sondern auch zu einem geringeren Aufwand innerhalb der Buchhaltung durch eine minimierte Kreditorenanzahl und den geringeren Abstimmungsaufwand zwischen Einkauf und den Mitarbeitenden. Insgesamt gibt es grundsätzlich drei Rahmenelemente, die als Bündelungseffekt auftreten: die Auswahl der Systempartner und das Erreichen einer Schnittmenge gemeinsamer Warengruppen im Einklang der Zusammenarbeit mit einer überschaubaren Anzahl von Systempartnern.

Veränderungen in den Wertschöpfungsketten: Hin zur Plattformökonomie

In der Vergangenheit waren Wertschöpfungsketten in der Regel streng linear. Sowohl Waren als auch Informationen wurden lediglich bilateral ausgetauscht. Eine grob vereinfachte Wertschöpfungskette reicht zum Beispiel vom Produzenten zu Großhändlern (Distributoren), von dort zu den Einzelhändlern und schließlich zum Endkunden. Die Daseinsberechtigung des Handels liegt in seiner Funktion als Intermediär begründet. Durch die Reduzierung von Komplexität in der Auftragsabwicklung und als direkter und beratender Ansprechpartner gegenüber den Kunden wird Mehrwert geschaffen: Der Hersteller muss sich nicht mit der Komplexität der verschiedensten Abnehmer plagen und der Einkäufer hat einen begrenzten Suchaufwand, um Produkte zu finden und zu bewerten. Der Informationsaustausch reicht dabei in der Regel nicht über die vor- bzw. nachgelagerte Wertschöpfungsstufe hinaus.

Seit einigen Jahren entsteht ein alternatives Modell zur linearen Supply Chain: das „Ecosystem“ als wirtschaftliches Ökosystem mit multilateralen Verknüpfungen der Akteure. Das Vehikel dieser vielfältigen Geschäftsbeziehungen ist die Plattformökonomie. Denn insbesondere diese ist es, die auf der technischen Seite die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Sammlung, Verarbeitung, Auswertung und zum Transfer von Daten in großen Mengen in Echtzeit ermöglicht und damit die Grundlage für neue Geschäftsmodelle schafft. Lieferanten und Einkäufer werden auf einer digitalen Plattform zusammengebracht. So können einzelne Entwicklungs- und Produktionsschritte in noch kleinere Einheiten zerlegt und an ausgewiesene Spezialisten ausgelagert werden. So sind die vielen kleinteiligen, also zeitaufwändigen, Aufgaben jeweils eingegrenzt und viel effizienter abzuarbeiten.

Der Einfluss von eProcurement-Plattformen auf die Geschäftsbeziehungen

Festzuhalten ist: Zwischen Lieferanten und Einkäufer schieben sich heute weitere Marktteilnehmer, die primär digitale Services anbieten. Komplexe Wertschöpfungsketten und eine hohe Zahl an Akteuren bedeuten aber zugleich auch eine geringere Transparenz und ein großer Bedarf an Informationsaustausch. Diese Voraussetzungen begünstigen die Entstehung von Plattform-basierten Geschäftsmodellen, die Komplexität reduzieren, mit technischen Mitteln den Informationsaustausch verbessern und so zu mehr Transparenz und höherer Effizienz beitragen.

Aus diesem Grund zeigt sich gerade im Handel ein starker Trend zu neuen Marktteilnehmern, die das Modell der Plattformökonomie nutzen. Die Studie „Die Marktplatzwelt 2020“ verzeichnet global mehr als 480 Marktplätze also eProcurement-Plattformen. Davon bieten über 70 einen B2B-Ansatz, etliche verfolgen jedoch parallel auch ein B2C- oder C2C-Konzept. In Deutschland werden mehr als 40 B2B-Marktplätze gezählt.

Jedoch gibt es hier zwei Ausprägungen, die sich fundamental unterscheiden, nämlich mit und ohne Eigenhandel. Die einen fokussieren sich auf die Plattform und damit verbundene Services, sind also sowohl gegenüber Kunden wie Lieferanten neutral. Dazu zählen beispielsweise simple system oder Onventis. Die anderen, wie Amazon oder Mercateo, nehmen darüber hinaus selbst am Handelsgeschäft teil und stehen damit im Wettbewerb zu den Lieferanten auf der eigenen Plattform. Damit unterscheiden sich auch die Geschäftsbeziehungen grundlegend.  

Plattformen mit Eigenhandel verfolgen das Ziel, klassische Aufgaben der Handelsstufe wie Sortimentsbildung, Preisbildung, zum Teil auch Logistik und Consulting zu übernehmen. Dadurch kommt es zu einer Unterbrechung der Geschäftsbeziehung: Geschäftspartner des Lieferanten ist nicht mehr der Einkäufer, sondern die Plattform. Ebenso ist der Geschäftspartner des Einkäufers nicht mehr der ursprüngliche Lieferant, sondern die Plattform als zwischengeschalteter Händler.

Solche Plattformen sind für Kunden interessant, für die lediglich die jeweilige Transaktion relevant ist, in der hohe Transparenz über Preise und Verfügbarkeit die wesentlichen Faktoren für die Kaufentscheidung darstellen. Der Aufwand für Supplier Relationship Management (SRM), Verhandlungen über Preise und Konditionen entfällt in diesem Fall. Auf der anderen Seite mangelt es unter Umständen an Transparenz in Bezug auf die Supply Chain, man weiß nicht, wer eigentlich der ursprüngliche Lieferant ist. In Folge fehlen dann auch möglicherweise Informationen zur Produktqualität. Zudem sind solche Plattformen kaum für Lieferanten mit umfangreichen Mehrwerten geeignet, da diese Services aufgrund der „indirekten“ Kundenbeziehung nicht abgebildet bzw. angeboten werden können.

Plattformen ohne Eigenhandel haben es sich zur Aufgabe gemacht, insbesondere den administrativen Teil der Geschäftsbeziehung zu digitalisieren, also die Verknüpfung des Einkaufsprozesses auf Kundenseite mit dem Verkaufsprozess auf Lieferantenseite. Als „Enabler“ unterstützen sie die Teilnehmer in ihren geschäftlichen Aktivitäten, anstatt diese selbst zu übernehmen. So bieten sie eine technische Infrastruktur, auf der das Zusammenspiel der Partner besonders effizient funktioniert. Standardisierte Schnittstellen der eProcurement-Plattformen vereinfachen den Datenaustausch zwischen Lieferanten und Kunden, sodass die Vernetzung enger wird, was die Zusammenarbeit vereinfacht und die Geschäftsbeziehung stärkt.

Fazit: Plattformökonomie und partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen gehen Hand in Hand

Trotz Digitalisierung und Globalisierung haben direkte starke Geschäftsbeziehungen gerade im Mittelstand weiterhin einen hohen Stellenwert. Digitale eProcurement-Plattformen bieten die Chance, die Beschaffung effizienter und transparenter zu gestalten und so das eigene Geschäft zu stärken. Plattformen ohne Eigenhandel tragen dazu bei, gewachsene Geschäftsbeziehungen mit Hilfe der Digitalisierung noch effizienter zu machen und dabei nachhaltig zu stärken.

Der Autor Michael Petri ist Geschäftsführer und CCO von simple system.

eProcurement-Plattformen
Bild: simple system

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