02.06.2020 – Kategorie: eCommerce

Handel in der Krise: Wie lokale Marktplätze Anbietern helfen können

MarktplätzeQuelle: Ivelin Radkov/Shutterstock

Die Marktplätze der deutschen Wirtschaft leiden stark unter den Folgen der Corona-Pandemie: Wie ein Strategiewechsel von globaler zu lokaler Ausrichtung helfen kann, aus der Krise zu kommen.

Die Prognosen für die deutsche Wirtschaft und deren Marktplätze während und nach der Covid-19-Pandemie sind düster. Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am 15. Mai 2020 die vorläufigen Zahlen für das erste Quartal, demnach ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Prozent gesunken. Ein Gastbeitrag von Christopher Möhle, CEO der Turbine Kreuzberg.

Marktplätze: Globaler Auftritt ist krisenanfälliger

Laut der Wirtschaftsexperten ist mit diesem Wert aber noch nicht das Ende erreicht, die Tendenz für den Verlauf von 2020 ist weiterhin sinkend. Grund für die Rezession in Deutschland ist nicht nur die mangelnde Investitionskraft und Konsumnachfrage, sondern auch der Zusammenbruch globaler Lieferketten. Welchen enormen Einfluss globale Wirtschafts- und Lieferketten auf die Geschäfte von Unternehmen haben, hat die Hochschule Karlsruhe bereits im Oktober 2019 via Online-Umfrage erforscht.

Mit dem Ergebnis, dass sich Störungen und die Krisenanfälligkeit globaler Lieferketten auf die Entscheidung der Geschäftsführung auswirken können, die internationale Produktion von Gütern wieder in den heimischen Markt zu holen, um kurze und unabhängige Lieferketten zu gewährleisten. Auch deutsche Unternehmen müssen sich in der aktuellen Wirtschaftssituation mit der Frage auseinandersetzen, wie das eigene Geschäftsmodell besser gegen globale Krisen wie Pandemien gewappnet werden kann. Der Schlüssel für eine nachhaltige Transformation der eigenen Zulieferer- und Produktionsstrukturen ist die Etablierung lokaler Plattform-Modelle und Kooperativen, die kurze und krisensichere Lieferketten garantieren.

Etablierte Lieferketten im Stresstest

Die Covid-19-Pandemie bedeutet einen Einschnitt in alle Lebensbereiche, auch die Wirtschaft und ihrer Marktplätze. Ausnahmesituationen bringen Engpässe ans Licht, die zwar im Tagesgeschäft teilweise schon erkannt waren, woraus aber keine Konsequenzen gezogen wurden. Insbesondere in der Beschaffung von Gütern mittels internationalen Supply Chains zeigt sich eine enorme Herausforderung. Egal, ob Elektronikkomponenten, Textilien, medizinische Produkte oder Chemikalien: Die scheinbaren Vorteile internationaler Lieferketten werden in Anbetracht der gegenwärtigen Situation zu Nachteilen. Mehr noch: Sie bergen ein hohes Risikopotenzial, insbesondere im Hinblick auf Engpässe und Produktionsstillstände. Wenn der globale Markt stellenweise den Bedarf nicht decken kann, wird es umso wichtiger, auf lokale oder regionale Lagerbestände zurückgreifen zu können.


Doch gerade diese sind heute zu wenig digitalisiert und transparent. Wer also jetzt über die Effizienz von Lieferketten nachdenkt, der kommt um eine mögliche Rückbesinnung auf das Lokale nicht herum. Lokale Lösungen erweisen sich in der aktuellen Krisensituation als viel beständiger. Das Prinzip Plattformökonomie kann diese lokalen Potenziale heben, indem es mit globalen Standards und einer sinnvollen Datenanalyse eine effiziente Auslastung herstellt, bei der lokale, regionale oder nationale Lagerbestände in Echtzeit und kurze Lieferwege mit einbezogen werden. Im Sinne der Gemeinschaft können so Ressourcen vor der eigenen Haustür besser erkannt und über die Plattform entsprechende Akteure miteinander verbunden werden.

Lokale Plattformen und Marktplätze als zukunftsfähige Modelle

Beispiele für erfolgreiche lokale Plattformen gibt es im deutschen Raum bereits, wenn auch noch zumeist in Endkundenmärkten. Am bekanntesten und gerade in der Krise ein Ausweg für viele Restaurants ist der Service der Lieferkette Lieferando. Die für den regulären Betrieb geschlossenen Restaurants können die digitalen Infrastrukturen von Lieferando nutzen, um ihr Angebot einer breiten Masse via E-Lieferdienst verfügbar zu machen. Das Start-up Choco, das eigentlich Gastronomie und Großhandel per Messenger-App verbindet, hat kurzfristig lokale Marktplätze aufgesetzt, über die nun auch Endkunden bei Lebensmittelgroßhändlern bestellen können. Damit greift Choco sowohl seinem eigentlichen Kundenstamm, dem Gastro-Großhandel, unter die Arme, schafft im gleichen Atemzug aber auch einen vollkommen neuen Kundenzugang.

Diese beiden Beispiele zeigen Wendigkeit, Adaptionsfähigkeit und den Anspruch, lokale Ressourcen effektiv zu nutzen – für Unternehmer enorme Vorteile in einer Krisensituation.
Auch in der Baubranche entstehen vor allem im B2B-Bereich ähnliche Konzepte. Das Start-up bex ist ein Lieferservice für Sofortbedarf in Bau- und Handwerk und bietet Baufirmen einen schnellen und flexiblen Zugriff auf das Angebot mehrerer lokaler Baumärkte und Baustoff-Großhändler.

Zu den „Gewinnern” der Corona-Krise gehören auch die B2B-Plattformen „Wer liefert was” und „Europage” des Marktplatz-Spezialisten Visable. Mit dem Start des Lockdowns in Deutschland stiegen die Benutzerzahlen auf beiden Portalen im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent. Dass aktuell so viele Plattformen entstehen zeigt, wie schnell sich solche Modelle heute umsetzen lassen – gerade auch in Nischen und Sparten-Industrien.

Coopetition statt Alleinkämpfer

Noch erfolgreicher agieren Unternehmen, wenn sie sich sinnvoll zu Kooperativen zusammen-schließen und eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten schaffen. Gerade in der Krise gilt es einmal mehr für Unternehmen, Synergien zu generieren und nutzbar zu machen. Es braucht Netzwerk-Initiativen, um plattformökonomische Standards für Mittelständler und kleine Unternehmen mit lokalem Fokus zu entwickeln, um im Bedarfsfall auf räumlich näher gelegene Ressourcen zurück-greifen zu können. Ein Beispiel dafür ist etwa die Münchener Initiative Kauflokal.com, auf der User Produkte direkt von lokalen Händlern erwerben können.

Die Industrie wird jetzt schnell nachziehen. Eine Vorstufe hat die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart infolge des Corona-Shutdowns auf die Beine gestellt. Sie entwickelte ein Suche&Finde-Portal für produktionsrelevante Güter, Teile und Dienstleistungen. Allen Unternehmen, die das Angebot während der Corona-Krise nutzen, dürfte dadurch deutlich geworden sein, welche Chancen erst in einer Plattform liegen, auf der nicht nur die Unternehmen angeschlossen sind, sondern eine echte Ende-zu-Ende-Verknüpfung aller Produkte gegeben ist. Wenn alle Güter und Produkte vollständig digital erfasst und die angeschlossenen Unternehmen durch das lokale Netzwerk validiert sind, wird die Beschaffung nicht nur in Krisenzeiten sicherer, sondern allgemein viel einfacher, schneller und vertrauensvoller.

Turbine Kreuzberg Möhle
Christopher Möhle ist CEO der Turbine Kreuzberg.

Über den Autor: Christopher Möhle ist CEO der Turbine Kreuzberg und begleitet Unternehmen bei der Entwicklung von digitalen Produkt- und Serviceplattformen sowie individuellen Applikationen auf IoT- und Blockchain-Basis. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technologie und Umsetzungsstrategie. Bevor er 2014 bei der Digitalagentur Turbine Kreuzberg einstieg, war er unter anderem als Leiter Strategie und Marketing bei einem High-Fashion-Onlinehändler und als freier Berater in den Bereichen Digitalstrategie, Text und User Experience tätig. (sg)

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