Kaum elektronische Beschaffung in Sozialbranche
Die elektronische Beschaffung (E-Procurement) ist in Sozialunternehmen noch nicht in dem Umfang angekommen, wie dies in anderen Branchen der Fall ist. Dementsprechend bleiben Einsparpotenziale ungenutzt. Das ist das Ergebnis einer Trendstudie des Ulmer Branchenspezialisten Wilken Entire.
In klassischen Wirtschaftsunternehmen ist die Frage längst geklärt. Beschaffungen müssen heutzutage elektronisch abgewickelt werden, weil dadurch Bestellvorgänge schneller und einfacher werden. Ein Beispiel ist das Chemieunternehmen Abbott Laboratories, bei dem Forscher ihren Nachschub seit Jahren per E-Procurement selbst bestellen. Das Einkaufsverhalten von Unternehmen im Gesundheits- und Sozialwesen ist dagegen offensichtlich deutlich konservativer als in anderen Branchen. Diesen Schluss legt eine aktuelle Trendstudie nahe. Dazu wurden Besucher der Nürnberger Messe E-Procure befragt. Außerdem gab es Online-Befragungen der Sozialbranche im Herbst 2009. Insgesamt wurden 300 Fragebögen ausgewertet. Zielgruppe waren Einkaufsleiter, Einkäufer oder für den Einkauf verantwortliche Mitarbeiter in Unternehmen unterschiedlicher Größe. Von Bedeutung ist, dass die Befragung eine doppelte Ausrichtung hatte, um einen Vergleich ziehen zu können. Es wurden sowohl Personen aus dem Bereich „Gesundheit und Soziales“, als auch aus anderen Branchen befragt.
Wenig Softwareeinsatz – kaum integrierte Systeme
Die Analyse der Fragebögen zeigt: Lediglich 36 Prozent der Unternehmen in der Sozialwirtschaft Deutschlands nutzen elektronische Beschaffungslösungen. Im branchenneutralen Durchschnitt sind es dagegen 64 Prozent. Demnach sind im Sozialwesen große Einsparpotenziale vorhanden, die bislang nur zu einem Bruchteil genutzt werden. Die Antworten auf die Frage „Haben Sie Ihr Einkaufssystem an Ihr bestehendes ERP-System angeschlossen?“ verdeutlicht, dass sich eine grundlegende Zurückhaltung gegenüber einem Softwareeinsatz für Beschaffungslösungen offensichtlich bei anderen IT-Entscheidungen fortsetzt. Denn eine Systemintegration der E-Procurement-Lösung in die Einkaufssoftware liegt nur bei 13 Prozent der befragten Sozialunternehmen vor – gegenüber 70 Prozent branchenneutral. Durch die fehlende Anbindung bleiben weitere mögliche Kosteneinsparungen ungenutzt.
Vorteile auch bei dezentralem Einkauf
Ein Forschungsinteresse der Trendstudie war es, herauszufinden, wie der Wareneingang in Sozialunternehmen überhaupt strukturiert ist. Ergebnis: Viele Unternehmen der Sozialbranche arbeiten in dezentralen Einkaufsstrukturen – und zwar 67 Prozent. Daraus lässt sich folgern, dass eine elektronische Unterstützung des Einkaufs gerade hier ihre Vorteile ausspielen kann. Denn trotz dezentraler Bestellung und Lieferung in unterschiedliche Einrichtungen können Preisvorteile zentral verhandelt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Evangelische Heimstiftung Stuttgart.
Langer Bestellvorgang – noch immer viel Papier
Lassen wir weitere Zahlen sprechen: „Wie lange dauert in Ihrer Firma ein Bestellvorgang?“ – Die Antworten auf diese Frage zeigen den Handlungsbedarf in der Sozialbranche deutlich auf. Ein Bestellvorgang dauert nämlich im Durchschnitt 6,7 Tage – fast zwei Tage länger als branchenneutral (4,9). Dabei stellt sich die Frage: „Warum?“ Wie in kaum einer anderen Branche ist in der Sozialwirtschaft der Genehmigungsprozess von Bestellungen noch weitgehend papierbasiert. 97 Prozent der Befragten gaben an, nur mit Papier zu arbeiten. Außerhalb der Branche sind es nur 25 Prozent. Bei einer elektronischen Abwicklung kann der Bedarf schneller gedeckt werden, weil nach der Genehmigung die Bestellung automatisiert weitergeführt wird. Außerdem werden Verzögerungen vermieden, da ein Genehmigungsantrag nie „hängen bleiben“ kann. Ist ein Sachbearbeiter erkrankt oder in Urlaub, wird der Antrag automatisch an einen Vertreter weitergeleitet.
Was die Zuordnung von Rechnungen zu Bestellungen angeht, liegt die Trefferquote in der Sozialbranche nur bei 81 Prozent gegenüber 90 Prozent in sonstigen Branchen. Wichtig: Jeder Treffer auf den „letzten Meilen“ ab 80 Prozent bringt den Mitarbeitern in der Buchhaltung enorm viel. Nach den einfachen Zuordnungen sind es jetzt nämlich die Problemfälle, die sehr aufwendig sind. Es muss in Akten gesucht und von Hand verglichen werden. Jedes Prozent mehr bei der elektronischen Trefferquote bedeutet hierbei eine enorme Arbeitserleichterung.
Eine letzte Zahl: Nur die Hälfte der Sozialunternehmen nutzt intern eine katalogbasierte Beschaffung (47 Prozent). Branchenneutral sind es dagegen 64 Prozent. Nur wenige Sozialunternehmen binden elektronische Kataloge und Onlineshops an ihr ERP-System an und nutzen so Möglichkeiten des günstigen Einkaufs. Denn ein Großteil der Artikel muss dann nicht mehr vom Einkauf gepflegt werden. Dadurch werden Prozess- und Einkaufskosten deutlich gesenkt.
Fazit: Nachholbedarf gegenüber Industrieunternehmen
Bestellungen können durch E-Procurement-Lösungen deutlich kostengünstiger gestaltet werden. Viele Sozialunternehmen profitieren noch nicht davon. Sie sind generell konservativer, was den Einsatz von Software angeht. Das muss kein Nachteil sein. Doch im Falle des Einkaufs können die Unternehmen sehr schnell ihre Einkaufskonditionen verbessern. Vorausgesetzt, die Systeme sind gut integriert. Die Einkaufssoftware muss an das ERP-System (Warenwirtschaft, Einkauf usw.) angebunden sein. Sonst handelt es sich nur um „Schnickschnack ohne echte Kostensenkung“. Durch einfache intuitive Bedienung gilt es dabei, die Benutzerfreundlichkeit zu steigern. Sonst wird die Software von den Mitarbeitern nicht akzeptiert, und das Projekt droht zu scheitern.
Ein Praxisbeispiel aus der Wilken-Gruppe zeigt: Mit einer elektronischen Beschaffung können die Kosten – im Vergleich zum herkömmlichen Einkauf – auf unter zehn Prozent gesenkt werden. Diese Prozentzahl bezieht sich auf den Einzelprozess. Die langfristigen Gesamtkosten im Einkauf lassen sich durch elektronische Abwicklung halbieren.
Wilken-Entire-Tipps zum Einkauf in der Sozialwirtschaft
Generell:
- Abläufe optimieren
- Beschaffung beschleunigen
- Genehmigung beschleunigen
- Einkauf papierlos gestalten
- Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung miteinander verknüpfen
- Rechnungsbearbeitung im EDV-System organisieren
- Alle Bestellungen über das Bestellsystem umsetzen
E-Procurement mit OCI bei der KV Westfalen-Lippe
Zur Optimierung der Beschaffungsprozesse bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe hat Wilken Entire mittels der Schnittstelle OCI (Open Catalog Interface) unterschiedliche, bereits vorhandene und neue Online-Shops in das E-Procurement eingebunden. Zunächst wurden rund 50 Anwender geschult, die für sich und andere Bestellungen durchführen durften. Mittlerweile wurde der Nutzerkreis deutlich ausgeweitet. „Die elektronische Bestellung hat uns nur Vorteile gebracht“, fasst Oliver Hegemann, Abteilungsleiter der zentralen Beschaffung, zusammen. „Außerdem sparen wir Lager- und Personalkosten. Und durch das System hat sich das Bestellverhalten verändert. Es wird jetzt viel disziplinierter und gezielt bestellt.“ Dies gilt inzwischen nicht nur für Büromaterialien, sondern auch für EDV-Kleingeräte und Büromöbel. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe hat in Nordrhein-Westfalen zwei Standorte: Dortmund und Münster. Sie ist für rund 13.000 Ärzte und Psychotherapeuten in der Region zuständig und damit eine der größten Kassenärztlichen Vereinigungen, von denen es bundesweit 17 gibt. Die Körperschaft des öffentlichen Rechts beschäftigt 750 Mitarbeiter.
Flexible Einkaufs- und Finanzprozesse bei der EHS
Daten sollen bei der Evangelischen Heimstiftung (EHS) mit Hauptsitz in Stuttgart möglichst am Ort ihrer Entstehung erfasst und verarbeitet werden. Beispiel ist etwa die Restauration. Der Küchenchef bestellt vor Ort frische Lebensmittel oder Waren bei einem Lieferpartner. Wareneingangsprüfung, Rechnungsprüfung und elektronische Zahlung findet in den Häusern vor Ort statt, so ist eine schnelle Bearbeitung, auch bei Rückfragen gewährleistet, Skontolinien können eingehalten werden. „Intelligente Systeme machen uns dieses Vorgehen leicht“, sagt IT-Leiter Joachim Servay. Denn der Küchenchef kann sich auf Rahmenverträge des ABG-Einkaufsverbunds berufen, die durch die Tochterfirma zentral verhandelt wurden und hinterlegt sind. „Dadurch muss er nicht immer wieder neu verhandeln, sondern nur frisch einkaufen. Das System unterstützt uns, indem Dateien vor Ort für den elektronischen Zahlungsverkehr erzeugt, dann jedoch über einen zentralen Server transferiert werden und bei der Hausbank gesammelt eingereicht werden können.“ Jedes Haus hat sein eigenes Bankkonto – mit der Bank wurde jedoch ein Vertrag über einen „Cashpool“ abgeschlossen: Alle Konten werden von der Hausbank als ein Gesamtkonto gesehen. So können einzelne Häuser schon mal ins Minus rutschen, ohne dass Kredit-Zinsen anfallen. Beispiele, wie intelligente Systeme verschiedenster Art dezentrale Organisationsformen zentral unterstützen. Die EHS betreibt 65 Alten- und Pflegeheime, zwei Rehakliniken, eine Werkstatt, ein Wohnheim, eine Tagungsstätte und die Hauptverwaltung in Stuttgart. Knapp 6.000 Mitarbeiter kümmern sich um alte, pflegebedürftige und behinderte Menschen.
Dr. Peter Kottmann, Vorstand der Wilken Entire AG, Ulm
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