28.08.2023 – Kategorie: IT
KI in Deutschland: Die Spitze ist inzwischen unerreichbar
Fabian Westerheide, KI-Pionier, Netzwerker und Gründer von „Rise Of AI“ erklärt den internationalen Rückstand der deutschen KI-Kultur – und warum er leider wohl nie mehr aufgeholt werden kann.
KI in Deutschland aus Expertensicht: „Rise of AI“ war auch Mitveranstalter des Deutschen KI-Monats im Mai 2023.
Der aktuelle Stand von KI in Deutschland
Wie ist der Status quo?
Fabian Westerheide: Während der Welt durch die Covid-, Energie- und Ukrainekrisen abgelenkt ist; hat die künstliche Intelligenz sich unbemerkt global weiterentwickelt. Die Anzahl der Veröffentlichungen, Finanzierungen, Durchbrüche und internationale Zusammenarbeit hat sich enorm entwickelt.
Zwei amerikanische Firmen haben sich hierbei erneut hervorgetan: DeepMind und OpenAI. DeepMind hat Durchbrüche in der Materialforschung erreicht, welche die kommenden Jahre die Richtung vorgeben, wie schnell und günstig neue Stoffe und biologische Strukturen entwickelt werden können. OpenAI hat mit ChatGTP dagegen ein Large AI Model veröffentlicht, was die breite Bevölkerung überraschte. Kreativität war für Jahrtausende die Hoheit des denkenden Menschen und nun kann eine Maschine Texte, Bilder, Videos und Grafiken schneller und oftmals besser erstellen.
Wo fehlt es bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI in Deutschland?
Westerheide: Hier ist die bahnbrechende Entwicklung erneut in den USA und auch in China zu beobachten. In Europa, insbesondere Deutschland, sind keine vergleichbaren Erfolge zu erkennen. Gerade was die Entwicklung von Large AI-Modellen angeht, dominieren die Amerikaner uns weiterhin. Wo ist die deutsche Alternative zu OpenAI? Wo ist unser deutsches KI-System, was unsere Sprache, Kultur und Verhalten versteht und auch dann korrekt wiedergeben kann? Zwar hat das KI-Ökosystem dafür eigene Pläne, doch es fehlt an politischem Willen, an schlanken Prozessen, an Datenfreigaben und der Finanzierung, sowohl durch die Industrie als auch den Staat. Wir sitzen weiterhin am Rand und schauen zu, während die USA und China sich einen Wettstreit um die Daten- und Kontrollhoheit der KIs liefern.
Wir sind weiterhin zu zögerlich und der Abstand zur Spitze wächst, statt das wir diesen verkürzen. Das Problem der Zögerlichkeit und fehlenden Motivation Europas ist seit Jahren bekannt und hat sich leider nicht geändert.
Wer bremst und warum?
Westerheide: Mit Fortschritt lassen sich keine Wahlen gewinnen. Es fehlt jeglicher politischer Konsens, dass wir massiv investieren müssten. Dazu kommt die deutsche Risikoadversität. Der Staat gibt nur Kapital, wenn er dafür mediale Aufmerksamkeit bekommt und gleichzeitig Kontrolle behält. Ein selbstloses Verhalten für das Allgemeinwohl ist unserer Verwaltung unbekannt. Das Volk hat dem Staat zu dienen. Wir haben einfach keine Fortschrittskultur, sondern sind Bewahrer geworden. Als ChatGTP durch die Medien ging, wurde zuerst die Frage der Jobverluste und Verdrängung diskutiert – statt der Chancen. Eigentlich müssten wir dankbar sein für jede dieser Errungenschaften, dass sie Menschen mehr freie Zeit für andere Aufgaben gibt. Wir haben in Deutschland einen Mangel an Talenten, daher sollte doch jede Maschine mit Kusshand genommen werden. Wer bremst uns also? Unsere eigene Angst vor Veränderung, Anpassung und Wohlstandsverlust; kombiniert mit einem fehlenden Willen der Bevölkerung sich auf die Zukunft bestmöglich vorzubereiten.
Wie kann es weiter vorwärts gehen?
Was ist erforderlich um mit KI in Deutschland schneller vorwärtszukommen?
Westerheide: Wir brauchen weniger Fokus auf die Grundlagenforschung, sondern müssen die KIs in die Anwendung bringen. Es braucht mehr Förderung von wissenschaftlichen Ausgründungen und deutlich mehr Kapital für wachsende Firmen. Dazu braucht es auch große Investitionen für diese Large AI Modelle; denn diese sind enorm kapitalintensiv in der Entwicklung und Betrieb. Europa braucht dringend eine europäische Alternative zu DeepMind und OpenAI. Ebenso rächt sich inzwischen, dass Europa keine eigene KI-Infrastruktur („Hyperscaler“) besitzt. Wir sind abhängig von den USA was die Daten, die Software und auch die Verarbeitung angeht. Hier hat Europa einen massiven strategischen Nachteil aufzuholen. Europa hat eigentlich alles, was wir benötigen: Kapital, Talente, Spitzenforscher, Demokratie, Daten, Konzepte und eine etablierte Wirtschaftsindustrie. Doch fehlt es an Vernetzung und ausreichender Zusammenarbeit. Oftmals wird lieber um die nationalen Budgets gestritten und dem Wettbewerber beim Datenteilen nicht getraut. Viele Unternehmensführer und Politiker haben den großen Knall noch nicht gehört, wobei dieser bereits 2016 passierte – der Sputnik Moment der Chinesen – als DeepMind mit AlphaGo rauskam.
Was sollte jetzt umgesetzt werden und von wem?
Westerheide: Der Staat könnte anfangen, langfristige Projekte zu fördern, welche auch nach einer Wahlperiode erhalten bleiben. Strategisch wäre es wichtig, jetzt endlich eigene nationale große Sprachmodelle zu entwickeln. Mir wird flau im Magen, wenn ich daran denke, dass bald unsere Nachrichten, Texte, Artikel und Bücher aus einer amerikanischen Maschine kommen, weil diese unsere deutsche Sprache besser, schneller und günstiger wiedergeben kann als wir selber. Ebenso ist der Staat in der Pflicht für eine offene Datenkultur zu sorgen. Datenfreizügigkeit muss kein Verlust von Privatsphäre sein; dafür gibt es inzwischen ausreichend technische Lösungen. Die Unternehmen müssen ebenso anfangen zu verstehen, dass es einer wahren Zusammenarbeit braucht. Daten müssen entlang der Wertschöpfungskette geteilt werden für eine gemeinsame Wertschöpfung. Dieses Dilemma wurde natürlich erkannt. Gerade das junge KI -Ökosystem ist sehr bemüht, in Brüssel aufzuklären und europäische Vernetzungen zu ermöglichen. Die Hoffnung bleibt zuletzt, dass wir trotzdem in den Top 10 der führenden globalen KI-Standorte bleiben werden. Die Spitze ist inzwischen unerreichbar, also könnte Europa seine Mittelmäßigkeit akzeptieren und daraus seinen eigenen erfolgreichen Weg entwickeln.
Von Heiner Sieger.
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