13.09.2019 – Kategorie: eCommerce
Lagerfinanzierung: Ware eingekauft – Kapital im Lager gebunden?
Im E-Commerce wird das große Finanzierungspotential von Banken bisher nur stiefmütterlich behandelt. Wie Lagerwaren zur echten Sicherheit für Banken werden und Online-Händlern neue Handlungsfreiheit geben, erklärt Dirk Piethe, Gründer und CEO des Fintechs Labest.
Bevor Ware online verkauft wird, müssen Händler in Lagerfinanzierung investieren. Die Kundschaft erwartet die ständige kurzfristige Verfügbarkeit des gewählten Artikels. Saisonal eingeschränkte Lieferbedingungen der Hersteller zum Beispiel aus Asien machen zeitweise eine Erhöhung des Lagerbestandes im Handel notwendig. Das bindet Kapital, welches für nötige Investitionen nicht zur Verfügung steht. Eine Reihe an Akteuren hat dieses Problem bereits erkannt: Flexiblere Zahlungsziele beim Großhandel, Fine-Trading und Factoring sowie direkter Kredit vom Zahlungsdienstleister oder des Online-Marktplatzes schaffen hier Angebote. Warum halten sich die Hausbanken in diesem Geschäft zurück?
Lagerfinanzierung: Umlaufvermögen als Kreditsicherheit
Vor der digitalen Revolution konnten Unternehmen ihre Lagerbestände, das sogenannte Umlaufvermögen, als Sicherheit den Kreditinstituten übergeben. Die Institute erkannten Lagerwaren als Sicherheit an und unterbreiteten Angebote. Abhängig von den jeweiligen Werten der Warenvorräte wurden Kreditlinien vergeben. Doch seitdem die Warenumschlagsgeschwindigkeit im globalisierten Handel steigt, nimmt die Verweildauer im Warenlager ab. Kreditinstitute bekommen Zugang zu Informationen über den Lagerbestand ausschließlich über ihre Unternehmenskunden.
Die ständig schwankenden Preise erschweren zusätzlich die Bewertung des Lagerbestands. Banken, die heute noch Kredite in diesem Segment vergeben, arbeiten nicht selten mit Excel-Listen, die der Kunde analog befüllt. Ein fehleranfälliger und ressourcenintensiver Vorgang, der sich in der Kalkulation der Risikokosten widerspiegelt – die an den Online-Händler weitergegeben werden. Damit der Online-Handel in Zukunft seine Lagerware als Liquiditätsquelle bei der Hausbank geltend machen kann, braucht es mehr Transparenz.
Bank und Logistik mit Echtzeitpreisen aus der Cloud verknüpfen
Schon heute ist die Beschaffungs-, Liefer- und Lagerlogistik auf Firmenkundenseite in der Regel komplett digitalisiert. Verknüpft man diese Daten mit Echtzeitinformationen über die aktuelle Entwicklung von Einkaufs- und Verkaufspreis sowie mit historischen Daten, können Kreditentscheidungen auf einer neuen, effizienteren Basis mit digitaler Unterstützung erfolgen.
Über digital definierte Schnittstellen ist ein direkter Zugang zu allen gängigen ERP-Systemen möglich. Hieraus können detaillierte Artikeldaten in Echtzeit automatisiert und in regelmäßigen Abständen mit Marktdaten der entsprechend verfügbaren virtuellen Marktplätze abgeglichen werden. Das gilt für alle klar bezeichneten Handelsartikel im Groß- und Einzelhandel, aber auch für Rohstoffe und Güter von Stahl bis Kaffee. Mit diesen Informationen reduziert sich das Risiko für die Hausbank signifikant. Der zunehmende inhaltliche Austausch mit dem Unternehmenskunden führt auch zu einem besseren gegenseitigen Verständnis.
Lagerfinanzierung in der Praxis
Zu den ersten Kunden von Labest auf Unternehmensseite gehört MediaShop aus Österreich. Das TV-Shopping-Unternehmen ist europaweit in zwölf Ländern erfolgreich tätig und erweitert sein Portfolio derzeit vor allem im Online- und Großhandel. Die Hausbank Erste Bank, mit der Labest seit Ende 2018 im Rahmen einer Kooperation zusammenarbeitet, erhält Echtzeit-Transparenz über die Lagerbestände und deren Werte. So passt sich das Kreditvolumen der Bank flexibel dem Warenbestand an:
„Mit Labest ist die Bank nicht mehr davon abhängig, dass sie einmal im Monat eine Aufstellung bekommt, mit einer Bewertung und mit Mengen, sondern kann quasi auf Knopfdruck einen Auszug aus dem System ziehen. Diese Nachvollziehbarkeit und diese Transparenz haben wir als sehr positiv kennengelernt“, erklärt Philipp Nachbaur, CEO MediaShop
Lagerfinanzierung: neue Risikokultur ist gefragt
Verpasst die Kreditwirtschaft den Anschluss, verlagert sich die Warenfinanzierung weiter in die Logistik- und Paymentwirtschaft. Die Entwicklungen der letzten drei Jahre geben einen klaren Fingerzeig: Anbieter wie Amazon und Paypal haben diesen Markt längst für sich entdeckt und mit alternativen Finanzierungsangeboten Fakten geschaffen. Sie nutzen ihr grenzübergreifendes Netzwerk und den hohen Digitalisierungsgrad ihrer Kunden, um standardisierte Finanzierungsangebote zu machen. Auch Nischenanbieter im Bereich Finetrading versuchen mit hohen Zinsen und limitierten Finanzierungszeiträumen Marktanteile zu gewinnen.
Doch die Digitalisierung der Wirtschaft bietet auch Banken Chancen, ihr Geschäftsmodell zu verändern. Dafür müssen die Institute wieder lernen, das Geschäft ihrer Kunden zu verstehen. Die Risikokultur und die Prozesse innerhalb der Banken müssen sich schnellstens dem sich dynamisch verändernden Markt anpassen. Schnelligkeit und effiziente Abwicklung der Kreditprozesse bestimmen die Entscheidung des Kreditkunden.
Breiteres Finanzierungsangebot bietet dem Online-Handel Vorteile
Die gute Nachricht zum Schluss: Wenn Banken aktiv werden und sich in den Wettbewerb einschalten, kommt das in jedem Fall dem Online-Handel zugute. Eine Monopolisierung bei der Lagerfinanzierung von Logistik- und Payment-Anbietern wird letztlich die Preise oben halten. Die Erfahrung der Banken im direkten Austausch mit ihren Firmenkunden ist ein Vorteil. Denn das zusätzliche Verständnis für die Absatzmärkte und das Kaufverhalten des Marktes dank digitaler Lösungen machen Risiken in der Warenfinanzierung überschaubar. Warenbestände werden als Sicherheiten bewertbar. Bleibt nur abzuwarten, wie lange die Hausbanken sich diese vornehme Zurückhaltung noch erlauben.
Über den Autor: Dirk Piethe ist Gründer und CEO von Labest. Vor über 30 Jahren begann er seine Laufbahn bei der Dresdner Bank. Ende der 90er Jahre wechselte er in das Online-Banking und -Trading. 2016 gründete er gemeinsam mit dem Logistikexperten Stefan Franke Labest. Seit August 2018 ist Labest unter anderem Partner der Ersten Bank, der größten Sparkasse Österreichs. (sg)
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