07.09.2020 – Kategorie: Handel
Logistik: Welche Folgen der boomende E-Commerce darauf hat
Die Corona-Krise beschleunigte die Entwicklung des E‑Commerce zum Massenmarkt um mehrere Jahre. Dadurch stehen Händler zunehmend unter dem Druck, ihre Angebote zu digitalisieren und ihren Kunden trotzdem den Mehrwert eines Ladengeschäfts zu vermitteln. Händler sollten daher ihre Lieferketten und Logistik auf verbraucherorientierte Prozesse ausrichten.
Seit Jahren ist durch die Digitalisierung vom Niedergang des traditionellen Einzelhandels die Rede, der E‑Commerce kam bisher trotzdem kaum aus seinem Nischendasein hinaus. Trends verlaufen aber oft exponentiell, ihre Entwicklungskurve beginnt zunächst flach und hebt sich immer steiler an. Typisch für diesen Verlauf ist das papierlose Büro, das ein jahrelanges Thema in den Medien und bei Unternehmen war. In der Alltagspraxis der meisten Menschen änderte sind lange wenig, bis die Aktenordner und Briefe plötzlich fast verschwunden waren. Einen ähnlichen Verlauf nimmt gerade der E-Commerce und die dazu erforderliche Logistik
Einzelhandels-Apokalypse bald auch in Deutschland?
Aber warum sollte dem E-Commerce ausgerechnet in diesem Jahr der Durchbruch zum Massenmarkt gelingen? Etabliert hat sich die Theorie von Geoffrey Moore, nach der eine Innovation eine Marktdurchdringung von mehr als 16 Prozent aufweisen muss, um Breitenwirkung zu entfalten. Ab diesem Wert wenden sich die Verbraucher schnell vom Etablierten ab und dem Neuen zu, die Folge ist ein disruptives Wachstum. Laut einer Prognose von eMarketer lag der weltweite Einzelhandelsumsatz 2019 bei 14 Prozent und soll in diesem Jahr die kritische Marke von 16 Prozent überschreiten.
In den Vereinigten Staaten ist der Paradigmenwechsel vom analogen zum digitalen Handel bereits weitgehend vollzogen. In den vergangenen Jahren wurden dort immer mehr Geschäfte geschlossen, allein 2019 waren es über 9.000. Ghostmalls und verrammelte Läden prägen nun viele Städte. Der Begriff „Einzelhandels-Apokalypse“ beschreibt diese Entwicklung treffend. Der Wikipedia-Artikel dazu existiert bislang auf Englisch, nicht aber auf Deutsch. Das könnte sich in Zukunft ändern. So geht das Kölner Institut für Handelsforschung davon aus, dass sich die Anzahl der Firmen im stationären Einzelhandel bis zum Jahr 2030 um bis zu 64.000 Unternehmen verringern könnte.
Logistik: Deutsche geben ihre Zurückhaltung beim E-Commerce auf
Staatlich erzwungene Schließungen der meisten Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants in den vergangenen Monaten wirken wie ein zusätzlicher E-Commerce-Beschleuniger. Die Corona-Pandemie verändert die Geschwindigkeit und Intensität des digitalen Einkaufens dynamisch, selbst viele E-Commerce-Skeptiker mussten während der strikteren Lockdown-Phase online einkaufen. Wer sich an den Komfort gewöhnt hat, alles flexibel von zu Hause einzukaufen, möchte selten zurück in die physischen Stores. Im Rückblick werden viele Menschen ihre alten Einkaufsgewohnheiten als unnötigen Aufwand betrachten, ähnlich wie das Teppichklopfen oder Wäscheschrubben.
Die Zurückhaltung gegenüber großen Personengruppen wird vermutlich für viele Läden das Ende bedeuten. Den Einzelhändlern fehlt oft eine überzeugende Online-Präsenz oder sie können den Verbrauchern kaum noch vermitteln, welchen Mehrwert das physische Einkaufen gegenüber dem E-Commerce bietet. Einen weiteren Digital-Beschleuniger bilden die elektronischen Zahlungsmethoden, denen viele Deutsche lange misstrauten. Bargeld kann aber Viren transportieren, gilt somit als Risikofaktor und ist somit unbeliebter geworden.
Logistik nutzt Leerstände
Der Siegeszug des E-Commerce stellt auch Entwickler von Logistikimmobilien wie P3 Logistic Parks vor große Herausforderungen. Für Warenlagerung und Transport gibt es in den Städten immer weniger Platz, gleichzeitig steigen die Ansprüche der Verbraucher bei der Paketlieferung. Um diese Herausforderung erfolgreich anzugehen, sind ungewöhnliche Schritte notwendig. Neben den bereits bekannten Drohnenlieferungen und vollautomatisierten Logistik-Zentren geht hier ein neuer Trend hin zur Nutzung von ungewöhnlichen Orten für die Warenlagerung. Das möglicherweise surrealistischste Patent von Amazon etwa ist die Idee, Waren unter Wasser zu lagern, zum Beispiel in Wasser-Reservoirs oder speziell angelegten Becken. Allerdings liegt die eventuelle Umsetzung dieser Ideen in ferner Zukunft.
Bereits jetzt vorangeschritten sind Ansätze, die vorhandene Strukturen in Ballungsräumen smarter nutzen. So gibt es in den Städten unzählige Tiefgaragen, die häufiger leer stehen. Wegen ihrer zentralen Lage bietet es sich an, diese Räume zu Mikro-Distributionszentren umzufunktionieren. Ähnlich erfolgt der Umbau sogenannter Geistermalls in hochmoderne Logistikzentren. Die verlassenen Einkaufszentren, deren Anzahl sich nun deutlich erhöhen könnte, verfügen über die wesentliche Gebäudeausstattung und sind verkehrstechnisch bestens angebunden – ideale Voraussetzungen, um Platzmangel in den Städten zu überwinden und zeitgleich durch Verwendung vorhandener Räume den Flächenverbrauch durch den steigenden Logistikbedarf zu vermeiden.
Modernisierung der Logistik durch künstliche Intelligenz
In Zukunft wird der E-Commerce übrigens auch grüner. So reduziert KI-unterstützte Beschaffung den Verbrauch von Ressourcen und gewährleistet eine exaktere Abwicklung der Aufträge. Auf den Straßen werden immer mehr E-Lieferfahrzeuge fahren, außerdem gibt es im Hinblick auf das viele Verpackungsmaterial umfassendes Potenzial, die Abfallmengen zu reduzieren. Entweder durch weniger Material oder wiederverwertbare Verpackungen, die einer Kreislaufwirtschaft mit immer höheren Effizienzgraden zugeführt werden können.
2020 wird also als Jahr der Corona-Pandemie in Erinnerung bleiben, aber auch als Jahr des E-Commerce. Die Schwelle zum digitalen Massenmarkt ist jetzt überschritten und das Online-Shopping wird sich als bevorzugte Einkaufsmöglichkeit durchsetzen. Die zweite Corona-Welle als nächster Beschleuniger dieses Trends scheint sich bereits anzukündigen. (sg)
Über den Autor: Sönke Kewitz ist Geschäftsführer der P3 Logistic Parks Deutschland.
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