10.09.2021 – Kategorie: eCommerce
„Verbraucher bevorzugen umweltfreundlichere Lieferungen, trotz längerer Wartezeit und höherem Preis“
Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt im E-Commerce zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Händler wünschen sich eine klimaneutrale Logistik. Wie das funktionieren kann und wie schnell sich die gesteckten Ziele erreichen lassen, beantwortet Jonathan Weber, Mitgründer und CEO von Urbantz, im Interview mit Chefredakteurin Christiane Manow-Le Ruyet.
Christiane Manow-Le Ruyet: Nachhaltigkeit ist in aller Munde – auch in der Logistik. Viele Unternehmen wollen zwar C02 einsparen, aber in der Regel vergehen Jahrzehnte bis die Ziele erreicht sind. Geht das nicht schneller?
Jonathan Weber: Die von vielen Unternehmen zugesagte Umstellung ihrer Logistik auf klimaneutral ist eher auf lange Frist angelegt. So hat sich DHL beispielsweise verpflichtet, bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren. Auch die heute übliche Methode des Emissionsausgleichs geht an der Ursache der steigenden Emissionswerte vorbei. Studien des Weltwirtschaftsforums (WEF) zufolge wird der CO2-Fußabdruck der „Last Mile“, also dem letzten Lieferabschnitt zum Kunden, in den nächsten zehn Jahren um weitere 30 Prozent steigen.
In Europa legen die Verbraucher immer mehr Wert auf Umweltfreundlichkeit. Und die Gesetzgebung unternimmt Schritte, die den Wandel zu einer grüneren Gesellschaft voranbringen soll. Die EU hat ein endgültiges Verbot von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotor bis 2035 vorgeschlagen. Die Öffentlichkeit erkennt die Notwendigkeit eines Wandels, doch zunächst geht es darum, dass die wirtschaftlichen Ziele und die verfügbaren Technologien den Rückstand aufholen. In diesem Zusammenhang sind wir bei großen Unternehmen sehr gefragt, die im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsinitiativen die Umweltauswirkungen der Zustellung auf der letzten Meile minimieren wollen, jedoch nicht unbedingt über die dafür erforderlichen Instrumente verfügen.
36 Prozent mehr Lieferfahrzeuge bis zum Jahr 2030
Das E-Commerce-Aufkommen boomt, damit aber auch das Verkehrsaufkommen auf der letzten Meile. Wie lässt sich das in den Griff bekommen?
Genau das ist eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich Einzelhändler und ihre Lieferpartner in Sachen Last Mile nun befassen müssen. Laut WEF werden in den Großstädten bis 2030 aufgrund des Nachfragebooms nach innerstädtischen Lieferungen 36 Prozent mehr Lieferfahrzeuge unterwegs sein. Dadurch wird sich die Dauer des typischen Pendelverkehrs voraussichtlich um bis zu 11 Minuten verlängern.
Mehr Verkehr bedeutet mehr Emissionen, aber auch höhere Logistikkosten. Die Optimierung der Routenplanung ist für jeden dringend empfehlenswert. Die Algorithmen sind mittlerweile so ausgereift, dass sie mehr Variablen berücksichtigen können, als menschlich überhaupt möglich ist. Aber das ist nur ein erster Schritt. Es gibt noch viel mehr Möglichkeiten, um weniger Kraftstoff zu verbrauchen und umweltfreundlicher unterwegs zu sein.
Möglich ist der verstärkte Einsatz von Elektrofahrzeugen (EVs) und zweirädrigen Fahrzeugen, der Umstieg auf umweltfreundlichere Partner in der Drittlogistik (3PL), die kombinierte Zustellung und Abholung auf denselben Routen. Eine weitere Option ist die Selbstabholung vor Ort, das heißt, die Verbraucher können ihre Waren an Orten wie Paketshops abholen, und die vermehrte Buchung von so genannten Green Time Slots – all das trägt zu einer Reduzierung des Lieferverkehrs in den Ballungsräumen bei. Ziel ist es, die Zustellungsdichte (d. h. möglichst nahe beieinander liegende Zustellungen) und die Anzahl der erfolgreichen Erstzustellungen zu maximieren. So können Ihre Fahrer mit maximaler Effizienz ausliefern.
Immer mehr Studien belegen übrigens, dass die meisten Verbraucher umweltfreundliche Zustelloptionen bevorzugen, auch wenn dadurch die Auswahl an Lieferzeiten eingeschränkt wird. Überlegen Sie, welche Möglichkeiten Sie zur Buchung von umweltfreundlichen Lieferzeiten anbieten können, die eine höhere Dichte an Zustellungen und so weniger Fahrzeuge für dieselbe Anzahl von Lieferungen erfordern.
Mehr Nachhaltigkeit in der Logistik dank Digitalisierung
Wer digitalisiert, kann CO2 einsparen – das klingt einleuchtend. Wie muss die Logistik digitalisiert werden und wie ist der momentane Stand der Dinge?
Der digitale Wandel macht sich in jeder Branche bemerkbar, und so auch in der Logistikbranche. Die meisten E-Commerce-Anbieter verfügen bereits über die Backend-Infrastruktur wie Auftrags- und Lagerverwaltungssysteme. Der Einsatz einer Plattform für das Liefermanagement der Last Mile ist die logische Konsequenz aus der Orchestrierung des Lieferprozesses, mit dem Ergebnis einer Reduzierung von CO2-Emissionen und Kosten.
Die Algorithmen lassen sich zudem so exakt einstellen, dass eine maximale CO2-Reduzierung erreicht wird. Für einen einzigen Disponenten wäre die Berechnung mit Hilfe einer Tabellenkalkulation oder Stift und Papier viel zu kompliziert. Es genügt, Ihre geschäftlichen Regeln in den Algorithmus einzubauen, damit bei der Berechnung die Verwendung umweltfreundlicher Fahrzeuge und Spediteure bevorzugt wird.
Wenn Sie den Algorithmus mit dem entsprechenden digitalen Navigationsdaten füttern, ist das sogar noch besser, denn dann wird der Streckenverlauf der Fahrzeuge auf der Grundlage ihres Typs optimiert. So vermeiden Sie, dass Ihre Lieferfahrzeuge Kraftstoff verschwenden, weil die Fahrer versuchen, unzugängliche Orte zu erreichen. Die Nutzung einer Plattform bietet Ihnen die automatisierte Optimierung hunderter oder tausender geplanter Lieferungen in nur wenigen Minuten. Das bedeutet eine enorme Ressourceneinsparung bei einem sonst sehr arbeitsintensiven Prozess der manuellen Zuteilung von Aufträgen und Planung von Routen.
Erneuerbare Energien in Rechenzentren – Der Druck auf Tech-Giganten wächst
Mit steigender Digitalisierung steigt aber auch der Stromverbrauch – wie kann dies nachhaltig geschehen?
Einer der großen Vorteile von Cloud-Lösungen ist die mögliche Zentralisierung des operativen Betriebs- und der Fernzugriff auf die Plattform. Anstatt also in jedem Ihrer Vertriebszentren separate Routenplanungs-Vorgänge durchzuführen und dafür Systeme, Software und Arbeitskräfte vor Ort einzusetzen, können Sie alles von einer einzigen Plattform aus mit Zugriff über einen beliebigen Webbrowser erledigen. Natürlich verbrauchen die Rechenzentren, in denen Ihre Infrastruktur und Plattformen untergebracht sind, eine Menge Strom. Derzeit etwa zwei Prozent des gesamten Stromverbrauchs weltweit. Aber der Druck auf die dahinter stehenden Tech-Giganten wie Google, Amazon, Microsoft und Co., ihre Rechenzentren nachhaltiger zu gestalten und zu verwalten, wächst zunehmend. Microsoft zum Beispiel erwartet, dass alle seine Azure-Rechenzentren bis zum Jahr 2025 vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
Nachhaltigkeit in der Logistik: Ständig neue Features
Urbantz behauptet einen einzigartigen Ansatz entwickelt zu haben, um CO2 einzusparen. Welcher ist das und wieviel CO2 kann damit konkret eingespart werden?
Nachhaltigkeit steht schon seit jeher im Mittelpunkt unseres Engagements. Wir möchten Einzelhändler und 3PLs, die den größten Teil der Lieferungen durchführen, zu umweltfreundlicheren Lösungen für die letzte Meile bewegen. Bei der Prüfung neuer Funktionen und der Erstellung unserer Produkt-Roadmap stehen in unserem Unternehmen Nachhaltigkeit und Kostenersparnis gleichberechtigt nebeneinander – das unterscheidet uns von anderen Wettbewerbern. Das bedeutet, dass wir aktuell mit unserer Plattform im Gegensatz zu Mitbewerbern Maßnahmen umsetzen, die zu spürbaren Ergebnissen führen können.
Ich habe bereits über unseren Optimierungsprozess gesprochen. Wir haben viel investiert, damit durch die kundenseitige Konfiguration bevorzugt umweltfreundliche Fahrzeuge eingesetzt und Aufträge intelligent über verschiedene Flotten und 3PLs verteilt und so die CO2-Emissionen verringert werden. Unsere Plattform bietet außerdem Transparenz in Echtzeit und eine Kommunikation zwischen Fahrer und Empfänger, um sicherzustellen, dass die Lieferungen beim ersten Versuch erfolgreich sind und die Emissionen nicht auf weitere Lieferrunden „verlagert“ werden.
Wir entwickeln ständig neue Nachhaltigkeitsfeatures, wie beispielsweise die intelligente Buchung von Time Slots. Das sind Liefer-Zeitfenster, die den Kunden ihre Einstufung und Auswahl je nach Umweltauswirkungen ermöglichen (z. B. führt eine Lieferung während der Rushhour zu höheren Emissionen aufgrund von Verkehrsstaus). Diese Daten werden den Verbrauchern dann beim Kauf visuell dargestellt, so dass die laut Studien inzwischen mehrheitlich umweltbewussten Kunden eine nachhaltigere Lieferoption wählen können.
Unser Modul für klimafreundliches Fahren verwendet das Smartphone eines Kuriers zur Erfassung zahlreicher Datenpunkte über sein Fahrverhalten. Dieses Verhalten analysiert es dann mithilfe von KI. Basierend auf dem Ergebnis erhalten die Fahrerinnen und Fahrer Tipps für einen umweltfreundlicheren Fahrstil. Die gesammelten Daten werden unseren Kunden in einem Dashboard zur Verfügung gestellt, damit sie wissen, wie viele Emissionen sie im Laufe der Zeit eingespart haben.
„Wir brauchen konkrete Tech-Lösungen, die schon jetzt von Unternehmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit ihrer Logistik eingesetzt werden können“
Was muss getan werden, damit die Logistik schon jetzt anfängt, CO2 zu sparen? Muss auch mehr Druck hat von Seiten der Verbraucher entstehen?
Die Nachfrage der Verbraucher ist eines der wirksamsten Mittel, Unternehmen zu Änderungen zu bewegen. Der gegenwärtige Stand der Last Mile-Zustellung ist die Antwort auf die Nachfrage der Verbraucher nach einer möglichst schnellen Belieferung. Bestes Beispiel sind On-Demand-Dienste von Unternehmen wie Uber oder die 15-Minuten-Lieferung von Lebensmitteln, die immer beliebter werden.
Auf der anderen Seite belegen Studien, dass die Verbraucher umweltfreundlichere Liefermethoden bevorzugen, auch wenn das eine längere Wartezeit oder einen höheren Preis bedeutet. Die Universität Rotterdam hat Untersuchungen durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass wohl mehr als 80 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer ein „grünes“ Zeitfenster wählen – sofern möglich.
Gleichzeitig treiben EU-Vorschriften und die stärkere Fokussierung auf die Nachhaltigkeit von Unternehmen den Wandel voran. Wir brauchen konkrete Tech-Lösungen, die schon jetzt von Unternehmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit ihrer Logistik eingesetzt werden können. Und genau auf diesem Gebiet hat Urbantz eine Menge zu bieten.
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Jonathan Weber ist Mitgründer und CEO von Urbantz. Er blickt auf eine reiche Geschichte technischer Innovationen in Belgien zurück. Mehr als ein Jahrzehnt hat er damit verbracht, die Schnittstelle zwischen Effizienz und Nachhaltigkeit in der Logistik zu erforschen und die Entwicklung neuer Merkmale und Funktionen zu überwachen, die Unternehmen unterstützen ihren Lieferbetrieb umzustellen.
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