Paradoxe Welt der Selbstbedienung
Dienstleistungen galten lange Zeit einer Produktivitätssteigerung durch Standardisierung und Automatisierung nicht zugänglich. Die moderne Technik aber treibt sehr wohl die Industrialisierung von Dienstleistungen voran und nicht zuletzt ist Selbstbedienung stark auf dem Vormarsch.Der dadurch zunehmenden Entpersonalisierung von Dienstleistungen steht jedoch der Kundenwunsch nach individualisierten Leistungen entgegen. Wie lösen Unternehmen dieses Paradoxon?
Es gehört zu den Eigenarten vieler Dienstleistungen, dass sie arbeitsintensiv sind und in vielen Fällen nur im persönlichen Kontakt zwischen Dienstleister und Nachfrager erbracht werden können. Daher wurde es immer schon als ein Charakteristikum von Dienstleistungen angesehen, dass sich deren Produktivität kaum steigern ließ;e. Dies ist auch der Grund dafür, warum Dienstleistungen als groß;e Jobhoffnung gelten: Während im industriellen Sektor Arbeitsplätze der immer weiter zunehmenden Automatisierung zum Opfer fallen, glaubt man sich im tertiären Sektor auf der sicheren Seite: Dienstleistungsarbeit ist vermeintlich nicht automatisierbar und der Mensch daher nicht auswechselbar.
Und es stimmt ja: Die Spielräume für Rationalisierungen im Dienstleistungsbereich sind kleiner. Es bestehen wesentlich geringere Möglichkeiten des Austausches von menschlicher Arbeitskraft gegen physisches Kapital. Und selbst wenn der Einsatz von Maschinen bei der Erbringung von Dienstleistungen in Frage kommt, so wird selten der komplette Erbringungsprozess durch Maschinen abgelöst, sondern meistens erfolgt lediglich die Substitution einzelner Prozessschritte. So mag im Call Center zwar der Anruf von einem automatischen Sprachdialogsystem entgegengenommen werden, in den meisten Fällen spricht der Kunde aber danach mit einem menschlichen Angestellten.
Die Verschiedenartigkeit der möglichen Anfragen verhindert die durchgängige Automatisierung, sodass immer eine Arbeitskraft aus Fleisch und Blut der Blechmaschine zur Seite stehen muss: Anders als bei der standardisierten Produktion von Massenware haben Dienstleistungen eben auch immer den „Überraschungsfaktor Mensch“ ins Kalkül zu ziehen.
Nichtsdestotrotz lässt sich seit geraumer Zeit beobachten, dass das Phänomen der Automatisierung im Dienstleistungsbereich an Dynamik gewonnen hat. Dienstleister sehen sich mit verstärktem Kostendruck konfrontiert und orientieren sich daher zunehmend am industriellen Muster der Massenfertigung, um Effizienzgewinne einzufahren. Um die Kostensituation wettbewerbsfähig zu halten, wird daher auch in der Dienstleistungsarbeit immer stärker von den Mitteln der Standardisierung und Automatisierung Gebrauch gemacht.
Das Bestreben, Produktivitätsgewinne herbeizuführen steigt auch mit dem relativen Bedeutungsgewinn von Dienstleistungen in der Gesamtwirtschaft immer stärker an. Vor allem im Bereich der Erstellung von Massendienstleistungen haben diese Prinzipien der Rationalisierung mittlerweile weite Verbreitung gefunden. So sind beispielsweise viele Fluglinien bereits dazu übergegangen, sämtliche Kommunikationsflüsse zwischen Kunde und Unternehmen – vom Ticketkauf bis hin zum Einchecken – elektronisch abzuwickeln.
Fliegen kann man mittlerweile ohne jemals Kontakt zu einem Servicemitarbeiter gehabt zu haben. Oder man denke an die Erfolgsgeschichte des Bankautomaten, dessen Einführung das gesamte Bankengeschäft verändert hat: Neben dem Abheben von Bargeld ist es heute auch möglich, den Kontostand abzufragen, Kontoauszüge zu drucken und Bargeld einzuzahlen. Solche Geschäfte in einer Bankfiliale von Angesicht zu Angesicht mit einem Bankangestellten zu tätigen, gehört für die meisten Menschen zur Ausnahme. Zudem bietet heute beinahe jede Bank Internet-Banking an:
Banken delegieren hierbei die Abwicklung der Transaktionsprozesse, welche sie früher selbst ausgeführt haben, an ihre Kunden. Kontoverwaltung, Zahlungsabwicklung und sonstige Bankgeschäfte übernimmt damit der Kunde in Eigenregie, ohne jemals eine Bankfiliale zu betreten.
Aber auch in anderen Dienstleistungsbereichen ist schon lange eine Tendenz zu immer stärkerer Beteiligung des Kunden am Leistungserstellungsprozess erkennbar, bis hin zur kompletten Eigenerstellung der Leistung: das Dienstleistungsunternehmen zieht sich aus verschiedenen Schritten des Leistungserbringungsprozesses gänzlich zurück und lässt diese vom Kunden eigenständig erledigen. Immer zahlreicher werden die Beispiele, in denen der Kunde Aufgaben ausführt, die ehedem Mitarbeiter des Dienstleistungsunternehmens für ihn vollbracht haben: angefangen bei Supermärkten, in denen der Kunde die benötigten Waren selbst in den Einkaufswagen legt und zur Kasse schiebt, über Friseure mit ihrem Cut & Go-Prinzip bis hin zu Tankstellen mit der Möglichkeit des Selbsttankens. Auslöser dieser Entwicklung zum Do-It-Yourself waren ursprünglich Strategien zur Kosteneinsparung: Kunden führen einzelne Funktionen selbst aus und befreien hierdurch den Serviceanbieter von einem Teil seiner Arbeitslast. Insbesondere in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen, in denen die Kosten schneller steigen als die Produktivität, haben Dienstleister die Einführung von Elementen der Selbstbedienung oft als einzig gangbaren Weg für sich erkannt, um die Marktfähigkeit solcher Dienstleistungen aufrecht zu erhalten.
Das Internet als gigantischer Selbstbedienungsladen
Ihre Geburtsstunde hatte das Prinzip der Selbstbedienung zwar schon 1916 in den USA mit der Eröffnung des ersten Supermarkts. Technische Errungenschaften öffnen aber in jüngster Zeit völlig neue Dimensionen für den Einsatz von Selbstbedienung: Vor allem technische Fortschritte bei Automaten sowie die rasante Ausbreitung des Internets ersetzen zunehmend den persönlichen Kontakt zwischen Dienstleistungsanbieter und Kunde und bieten vielfältige Möglichkeiten, Aufgaben und Funktionen, die ehedem Teil der Leistungen des Dienstleisters waren, auf den Kunden abzuwälzen – und massiv Kosten zu sparen. Die Interaktivität der Informations- und Kommunikationstechnologien wandelt Bedienung in Selbstbedienung um und macht Konsumenten zu Produzenten ihrer eigenen Dienstleistung. Die moderne Technik integriert die Arbeitskraft des Konsumenten in den Erstellungsprozess der Dienstleistung: Grenzen verwischen, nämlich jene zwischen Produktion und Konsum, bezahlter Arbeit und unbezahlter Eigenarbeit.
Das Internet gleicht einem riesigen Selbstbedienungsladen: Über das Medium Internet stellen Unternehmen nicht nur Informationen, sondern eine ganze Reihe von elektronischen Dienstleistungen bereit, die von Kunden und Interessenten eigenständig und zeitunabhängig genutzt werden können. Solche internetbasierten Dienstleistungen sind von Unternehmen extrem einfach und kostengünstig zu produzieren, eignen sich allerdings nicht für jede Art von Diensten: die Aufgaben müssen digitalisierbar sein, sollten häufig nachgefragt werden und dürfen nur so komplex sein, dass ein Webbrowser sie vernünftig handhaben kann.
Eine schier unermessliche Zahl solcher Dienstleistungen kommt seit Verbreitung des Internets ohne persönlichen Kontakt zwischen Servicemitarbeiter und Kunde aus: Web-Shops und internetbasierte Kundenplattformen ersetzen zunehmend Ladengeschäfte und Call Center. Um Produktinformationen abzufragen und Waren zu bestellen, Liefertermine zu erfragen, eine Fracht zu verfolgen, Reisen zu buchen, Zählerstände dem Energieversorger zu übermitteln, einen Tarifwechsel beim Mobilfunkbetreiber vorzunehmen – um all dies zu erledigen, braucht man schon lange nicht mehr zum Telefonhörer zu greifen oder sich gar auf den Weg hinaus aus den eigenen vier Wänden machen. Diese Beispiele sind nur eine winzige Auswahl der heute im Netz verfügbaren Services. Tatsächlich gehören heute eine Vielzahl dieser elektronischen Dienstleistungen für die meisten Menschen wie selbstverständlich zum Alltag; wir nutzen sie fortwährend und immer mehr über verschiedene Geräte – vom Mobiltelefon bis zum Personalcomputer – und an jedem beliebigen Ort.
Die Riesenfortschritte in der technischen Entwicklung haben auch in der Herausbildung neuer Formen von Selbstbedienung ihren Niederschlag gefunden. Gerade mit dem Internet und seiner Möglichkeit, Dinge schnell und flexibel zu erledigen, hat sich ein neues Verständnis von Selbstbedienung in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Heute stehen wir unter dem steten Druck Zeit zu sparen, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu erledigen. Dabei kommt das Internet gerade recht und man nimmt die zu leistende „Eigenarbeit“ gerne in Kauf. „Sich bedienen zu lassen“ wird gerne ersetzt durch ein „Do-It-Yourself“, wenn es Zeit spart, kostengünstiger ist oder zu einem Informationsvorsprung verhilft.
Dass Selbstbedienung immer selbstverständlicher wird, hat aber neben den erweiterten technischen Möglichkeiten noch einen anderen Grund: Selbstbedienung hat den Schein des schlechten Services abgelegt und stark an Akzeptanz gewonnen. Die Einführung von Selbstbedienung ist nicht länger allein getrieben durch die Ziele der Prozessverschlankung und Kosteneinsparung, sondern die Herbeiführung einer höheren Servicequalität.
Aus verschiedensten Gründen verlangen Kunden selbst die Einräumung von Möglichkeiten zur Selbstbedienung, ziehen diese in vielen Fällen dem persönlichen Service vor: man ist nicht an Öffnungszeiten gebunden, sondern kann den Service flexibel rund um die Uhr nutzen; oftmals ergibt sich eine Zeitersparnis, da gewisse Dienste von zu Hause über das Internet erledigt werden können und Warteschlangen vor Automaten nur in Ausnahmefällen anzutreffen sind. Viele Kunden schätzen auch die mit Erledigungen im Internet verbundene Anonymität. Und oftmals fällt die Reisebuchung, der Einkauf oder das Bankgeschäft schlichtweg unkomplizierter, schneller und bequemer aus: Transaktionen können nahtlos ausgeführt werden, ohne zum Telefonhörer greifen oder ein Gespräch führen zu müssen, es muss kein Ansprechpartner ausfindig gemacht, keine Kontaktadresse, keine Telefonnummer gesucht werden und es besteht keine Gefahr wegen Unzuständigkeit weiterverwiesen zu werden oder eine gefühlte Ewigkeit Musik in der Telefonschleife lauschen zu müssen.
Gratwanderung zwischen Individualisierung und Standardisierung
Die wachsende Selbstverständlichkeit von Dienstleistungskonsum in Selbstbedienung bringt es mit sich, dass Dienstleistungsarbeit heute durch zwei scheinbar gegenläufige Tendenzen gekennzeichnet ist: Zum einen hat die zunehmende Verbreitung von Dienstleistungsangeboten in Form von Selbstbedienung eine Entpersonalisierung der Leistungsprozesse zur Folge, persönliche Interaktionen finden in Selbstbedienungssystemen nicht mehr statt.
Zum anderen wachsen generell die Anforderungen an kundenorientiertes Verhalten von Unternehmen und ihren Mitarbeitern. Der hohe Wettbewerbsdruck in einer Welt von sich ständig ähnlicher werdenden Produkten führt zur unternehmerischen Notwendigkeit, sich über die Kundenansprache von den Mitbewerbern zu differenzieren: individuelle Angebote, das Eingehen auf spezifische Bedürfnisse und generell die Ausrichtung aller Geschäftsaktivitäten an den Kundenwünschen sollen einen Startvorteil im Wettbewerb verschaffen.
Neben der gleichzeitigen Verfolgung der Ziele des Ausbaus von Selbstbedienungsmöglichkeiten und höchstmöglicher Kundenorientierung liegt das Paradoxon darin, dass an Mitarbeiter von Dienstleistungsunternehmen zwar immer höhere Erwartungen an ein kundenorientiertes Verhalten gestellt werden, gleichzeitig durch die Selbstbedienung aber an den Kontaktpunkten zum Kunden die Kompetenzen der Mitarbeiter ausgedünnt werden.
Die Dienstleistungsarbeit beschränkt sich daher auf die Aufgaben, das Selbstbedienungsangebot funktionsfähig und die Zugriffsmöglichkeiten durch Kunden aufrecht zu erhalten, die ordnungsgemäß;e Inanspruchnahme durch die Kunden zu kontrollieren und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Nur zu oft finden sich Servicemitarbeiter angesichts eingeschränkter Kompetenzumfänge und Aktionsradien in Dilemmata wieder: es gilt, um jeden Preis freundlich zu bleiben, auch wenn der Kunde ob des nicht funktionsfähigen Automaten die Nerven verliert und immer aufgebrachter und unfreundlicher wird. Historisch kann beobachtet werden, dass regelrechte Industrialisierungswellen ganze Dienstleistungsbranchen (etwa Finanzdienstleistungen, Telekommunikation) durchlaufen haben.
Dabei erfasst die Industrialisierung nicht sämtliche Prozesse gleichermaß;en: transaktionsorientierte Tätigkeiten eignen sich besonders gut, automatisiert und standardisiert zu werden und werden daher von der Industrialisierung zuerst erfasst. Dies impliziert, dass sich regional- und branchenspezifische Besonderheiten auf dem Weg der Industrialisierung des tertiären Sektors herausbilden. Geht man auß;erdem davon aus, dass die Dienstleistungsindustrialisierung vorrangig dort zum Tragen kommen wird, wo Produktivitätssteigerungen ohne gleichzeitige Qualitätseinbuß;en erreichbar sind, dann kommt es zu einer weitgehenden Aufsplittung von Dienstleistungsprozessen: Teilprozesse, die standardisierbar sind (z.B. Ticketkauf, Fahrplanauskunft, Kontostandsabfrage etc.), werden automatisiert werden, während solche, die nach einer individuellen Ansprache des und einer intensiven Interaktion mit dem Kunden verlangen, nicht Gegenstand der Industrialisierung sein werden. Logische Konsequenz dieser Aufspaltung des Dienstleistungsprozesses ist eine starke Polarisierung: der Automatisierung und unpersönlichen Leistungserstellung auf der einen Seite wird eine Individualisierung von Dienstleistungsaktivitäten auf der anderen Seite gegenüberstehen.
Der Imperativ der Kundenorientierung und die fortschreitenden technischen Möglichkeiten weisen einen Weg in die Zukunft, der nicht bei der industriellen Massenproduktion von Dienstleistungen stehenbleibt: In Zukunft wird es stärker darum gehen, – trotz Selbstbedienung – individualisierten Konsum zu ermöglichen.
Automat oder persönlicher Service? Jedem das Seine!
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, den heute üblichen mehrgleisigen Kontakt zum Kunden so auszugestalten, dass höchste Servicequalität entsteht. Im Zusammenhang mit Selbstbedienungssystemen bedeutet dies vor allem, ein besseres Verständnis zu entwickeln, welche Auswirkungen diese auf die Kundenbeziehungen haben und inwieweit sie die persönliche Dienstleistungserstellung tatsächlich ersetzen können. Unternehmen werden sich daher zukünftig stärker damit befassen müssen, eine Multikanalstrategie zu entwerfen, die sich nicht darauf beschränkt additiv unterschiedliche Vertriebswege bereitzustellen, sondern sämtliche Wege zum Kunden müssen insgesamt ein rundes Ganzes ergeben.
Ziel dieser Bemühungen muss es sein, sämtliche Transaktionen und Kommunikationsvorgänge zwischen Unternehmen und Kunde zu vernetzen, damit der Kunde als Ganzes wahrgenommen wird und nicht fragmentiert in seine einzelnen Beziehungen zu Teilbereichen des Unternehmens. Ein Multikanalsystem muss die Vertriebsaktivitäten so koordinieren, dass sich für den Kunden der Eindruck einer nahtlosen Verkaufs- und Serviceleistung ergibt. Dabei ist auch die Kundenrentabilität zu berücksichtigen, um Servicelevels zu differenzieren und Kundenkontakte über entsprechende Vertriebswege herzustellen. Die Strategie sollte nicht lauten „So viel Automaten wie möglich, um Kosten zu sparen“, aber genauso wenig führt aufgrund der hohen Akzeptanz von Selbstbedienung durch die Kunden der entgegengesetzte Weg zum Ziel: „So wenig Automaten wie möglich, um persönlichen Service zu gewährleisten“.
Der goldene Weg wird wohl sein: „Jedem das Seine.“ Solche Überlegungen, wie eine Vernetzung von unterschiedlichen Vertriebskanälen optimal zu gestalten ist, werden angesichts des Wachstums der Informationsinfrastruktur immer wichtiger.
Der erste Schritt der Personalisierung liegt ja schon darin, dass die Verfügbarkeit von Dienstleistungen, die in Selbstbedienung in Anspruch genommen werden – in örtlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht – gegenüber der herkömmlichen Dienstleistungserbringung beinahe ins Unbeschränkte ausgeweitet wird. Die moderne Technik erweitert die Kontaktmöglichkeiten zwischen Leistungsproduzenten und Kunden: über verschiedene Kanäle wie etwa Internet, E-Mail oder Mobiltelefon kann unabhängig von Raum und Zeit kommuniziert und können Leistungen abgerufen werden.
Automaten und Selbstbedienungsterminals erlauben, wenn auch nicht ortsungebunden, so doch zumindest zeitlich unabhängig in Kontakt zu treten. Die elektronischen Schnittstellen zum Kunden individualisieren daher insofern den Dienstleistungskonsum als sie den Nachfrager nicht an vorgegebene Ladenöffnungs- und Betriebszeiten binden, sondern den Service zu jeder beliebigen, vom Kunden wählbaren Uhrzeit abrufbar machen. Auch wird dem Kunden bei den solcherart zur Verfügung gestellten Dienstleistungen der Gang zur Betriebsstätte des Anbieters erspart, weil die Leistung vom Wohnzimmer oder – mittels mobiler Technik zunehmend – von jedem beliebigen Ort in Anspruch genommen werden kann. Zudem ist der Kunde nicht auf die Einschaltung von Mitarbeitern des Serviceanbieters angewiesen, sondern kann die Dienstleistung selbständig abrufen.
Einschränkend wirkt daher nicht der Terminplan des Serviceanbieters, sondern lediglich der eigene des Kunden. Engpässe durch starke Nachfrage tangieren den Kunden daher kaum. Banken setzen schon lange auf die kundenindividuelle Ansprache von Bestandskunden an Geldautomaten und Selbstbedienungsterminals. Darüber hinaus wird das seit einiger Zeit übliche Abspielen von Werbefilmchen während des Vorganges oder zwischen einzelnen Vorgängen immer stärker individualisiert werden. Mit dem Einloggen und Identifizieren des Kunden liegt eine Vielzahl von Kundendaten – von Einkommen und Beruf über Adresse bis Alter, Familienstand und sogar vergangene Verhaltensweisen und Wünsche – offen, die das Senden zielgenauer Werbebotschaften erlaubt.
Werden aus der Vielzahl der über einen Kontoinhaber gespeicherten Daten die richtigen Schlüsse gezogen, kann bei jedem Kontakt mit dem Kunden am Geldautomat situations- und kundenspezifisch ein maß;geschneidertes Bankprodukt angeboten werden. Sinkt etwa der Kontostand unter einen gewissen Pegel, könnte dem Kunden ein kleiner Kredit angeboten werden. Einen Kunden mit hohem Kontoüberschuss hingegen sollte die Bank auf Anlagemöglichkeiten aufmerksam machen. Mit Hilfe der im Laufe der Kundenbeziehung gesammelten Informationen über einen Kunden kann die Bank ein individuelles Paket schnüren und dem Kunden situationsgerecht offerieren. Auch im Internet setzen Direktbanken auf weitestgehende Individualisierung des Angebots: Etwa wird es Kunden ermöglicht, das eigene Depot oder auch fiktive Depots darzustellen und damit auf Mausklick Zugang zu Kurs- und diversen Hintergrundinformationen der für den Kunden relevanten Wertpapiere zu erhalten. Nicht nur sind solche Funktionalitäten für den Kunden ein wertvoller Zusatzservice, sondern kommen diese auch der anbietenden Bank zugute: Mit steigender Nutzungsdauer verfeinert der Direktbankkunde seine Seite, indem er mehr und mehr individuell wählbare Informationen beifügt. Dabei gewöhnt er sich an die Nutzung der bereitgestellten Analysetools, wodurch die Barriere für einen Wechsel zu einem anderen Anbieter steigt.
Individualisierte Angebote ergänzen die Selbstbedienung
Trotz der zunehmenden Akzeptanz von Selbstbedienungsangeboten erzeugt der Umgang mit Automat oder Internet aber auch viele unzufriedene Kunden, wie dies oft insbesondere bei älteren Menschen der Fall ist. Zumal für die Bedienung der technischen Kundenschnittstelle jedenfalls ein Mindestmaß; an technischer Versiertheit vonnöten ist, um überhaupt seinen Servicewunsch erfüllt zu bekommen.
Wollen oder können sich bestimmte Kundengruppen technisch basierte Dienstleistungen nicht erschließ;en, ruft dies wiederum neue Dienstleistungsbedarfe hervor: Unternehmen müssen für diese Fälle, wollen sie diese Kundengruppen nicht verlieren, verstärkt persönliche Beratungs- und Serviceleistungen selektiv anbieten. So ist es etwa bei den – oben angesprochenen – Fluglinien mit ihrem starken Anteil an Selbstbedienungsaufgaben in vielen Fällen möglich, auch persönlichen Service zu erhalten, wenn man dies denn wünscht. Scheren Kunden aus dem Standardprozess aus, so werden allerdings zusätzliche Gebühren fällig: Anstatt die Buchung über das Internet durchzuführen kann man dies auch über eine kostenpflichtige Telefonnummer erledigen und weiß; dann einen menschlichen Servicemitarbeiter am anderen Ende der Leistung.
Aber nicht nur, weil verschiedene Kundengruppen für Selbstbedienung nicht zu gewinnen sind, sondern auch aus Kostengründen stehen Unternehmen mehr und mehr vor der Herausforderung, verschiedene Serviceprozesse – von vollautomatisiert bis persönlich – anzubieten und Kunden aktiv dann in die für sie geeigneten Prozessbahnen zu navigieren. Für eine Bank beispielsweise wäre es nicht kosteneffektiv, sämtliche Leistungen – vom Kreditkartensupport über Kontoinformationen bis hin zur Entgegennahme von Orders – über eine teure Telefonhotline abzuwickeln. Ein solch undifferenziertes Angebot würde einen zu groß;en Kostenblock für eine Kundengruppe aufwenden, die genauso gut und zufriedenstellend über den billigeren Weg des Internets bedient werden kann. Eine one-fits-all-Vorgehensweise frisst Ressourcen, die wirksamer auf die durch das Internet nicht erreichbaren Kundengruppen gerichtet werden können.
Es kommt für Unternehmen vor allem darauf an, selektiv vorzugehen und den richtigen Ausgleich zwischen dem Wert, den Kunden maß;geschneiderten Dienstleistungsprozessen beimessen, und den Kosten der erhöhten Komplexität, die die Variantenvielfalt mit sich bringt, zu finden. Dann hat die Kombination von elektronischen Selbstbedienungsaufgaben mit individualisierten Komponenten letzten Endes insgesamt einen verbesserten Kundenservice zur Folge. Dienstleister können auf diese Weise persönlichen Service anbieten, wo dieser gewünscht wird, ohne Kostenvorteile durch Industrialisierung zu verschenken.
(Autor: Nora S. Stampfl)
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