Recruiting 2020
Personalmarketing rückt immer mehr in den Fokus erfolgreicher Unternehmen. Nur mit qualifiziertem, motiviertem Personal kann die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit gesteigert werden, so die eigentlich nicht allzu innovative Erkenntnis. Fast kein namhaftes Unternehmen scheut aus diesem Grund den Aufwand, ausgefeilte Botschaften der Mitarbeiterwertschätzung und der Personalwerbung – oft als Teil eines aufwendig gestalteten „Employer Brandings“ – zu entwickeln und in den Arbeitsmarkt hinein zu kommunizieren, wobei dem Internet hier natürlich besondere Bedeutung eingeräumt wird.
Angesichts der mittlerweile evidenten Ausweitung des Fachkräftemangels gilt es, sich mit dem Rekrutierungsvorgang der Zukunft auseinanderzusetzen und Wege zu finden, um auch morgen qualifizierte Mitarbeiter für sich gewinnen zu können. Betrachtet man alle Trends in den technischen Möglichkeiten, in der gegenwärtigen und zukünftigen Situation auf dem Arbeitsmarkt und in der Entwicklung individueller und gesellschaftlicher Werte, Einstellungen und Verhaltensnormen, dann lässt sich der Gestaltungsrahmen der Rekrutierungsprozesse von Unternehmen im Jahre 2020 bereits heute zeichnen. Ein Szenario, das die aktuellen Entwicklungen in den HR-Strukturen des Unternehmens zu Grunde legt.
Das Zeitalter der Industrialisierung ist im Rekrutierungsprozess angekommen
Nachdem in den 90er Jahren sukzessive zunächst die primären und dann die sekundären betriebswirtschaftlichen Funktionen des Unternehmens mit vernetzten und zunehmend automatisierten IT-Lösungen (s. ERP-Lösungen) unterlegt wurden, hat dieser technologische Fortschritt in den letzten 10 Jahren schließlich auch den Rekrutierungsprozess des Unternehmens erreicht.
Das Internet und seine neuen Möglichkeiten, viele Bewerber für die Stellenangebote anzusprechen und entsprechenden „Traffic“ auf dem eigenen „Bewerberportal“ zu generieren, ist sicher mit dafür verantwortlich.
Um die so generierten Bewerbermengen nun auch bewältigen zu können, liegt eine möglichst weitgehende Standardisierung der „Verabeitungsprozesse“ im gesamten Rekrutierungs-Work-Flow – beginnend mit der umfangreichen Bewerberselbsterfassung – natürlich nahe. Nur so läßt sich die heutige Realität im Bereich von Rekrutierungssystemen erklären, mit welchen Bewerber vieler Unternehmen konfrontiert sind.
Bewerber werden zudem oft mittels automatischer Matching-Verfahren über einen Kamm geschoren, mit den gleichen Systemen, Prozessen und Standards. Der jeweilige Standard wird einmal als Prozess eingerichtet und automatisch abgearbeitet – für alle Bewerber.
Dies wird sich in Zukunft allerdings stark verändern; denn – um hochqualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, sollten diese nicht mehr wie Bittsteller, sondern wie Kunden behandelt werden – individuell und motivierend von Anfang an, mit Unternehmensprozessen die nicht nur technokratisch gut durchkonstruiert sind, sondern auch dem entscheidenden menschlichen Beziehungsaspekt in der Rekrutierung Rechnung tragen.
Ein Prozess am Wendepunkt
In der Vergangenheit begann die Suche nach einem geeigneten Arbeitnehmer mit der Schaltung einer Print-Anzeige. Daraufhin erhielt der suchende Arbeitgeber z.B. 50 Bewerbungen, welche von dem verantwortlichen Personalsachbearbeiter bewertet wurden. Heute werden seltener Print-, dafür mehr Online-Stellenanzeigen geschaltet, mit der Folge, dass typischen Stellenausschreibungen bei monster & Co. ein Vielfaches an Bewerbungseingängen folgt.
Das durchschnittliche Bewerbervolumen hat somit deutlich zugenommen und die mittlerweile recht schlank organisierten Personalabteilungen können diese Mengen kaum noch adäquat bearbeiten. Diese Problematik begründete den Trend hin zur Automatisierung über Bewerbermanagement-Systeme. Dank so genannter automatischer Matching-Systeme wird dieses Volumen auf ein überschaubares Maß reduziert, bevor ein qualifizierter HR-Berater die system-konformen Bewerbungen direkt bewertet.
Bereits heute müssen sich Bewerber dem Szenario der bekannten Selbsterfassungsmasken der Unternehmen stellen. Die Eingabe der persönlichen Daten ist zum Teil sehr zeitaufwändig und selten benutzerfreundlich. Jeder Bewerber kann zunächst nur mit einem System kommunizieren. Ein persönlicher Kontakt zum Unternehmen wird selten geboten und die Bearbeitungszeit kann bis zu mehreren Wochen dauern. Sind die persönlichen Daten übermittelt, werden diese nach Tauglichkeit gefiltert. Bewerber, die nicht perfekt auf das normierte Suchprofil passen, werden nicht berücksichtigt.
Das Vorauswahlergebnis beinhaltet so häufig Bewerbungen, die die Muss-Kriterien abdecken, bei näherem Hinsehen aber oft nur angepasster Durchschnitt sind.
Dieses Verfahren reduziert zwar das Eingangsvolumen, ist aber auf Grund seiner negativen Wirkungen auf Bewerber für die Besetzung hochqualifizierter Positionen kaum geeignet. Die mit diesem Prozedere verbundene anonyme, wenig motivierende und zum Teil respektlose Behandlung schadet dem Image eines Unternehmens und herausragendes Bewerberpotenzial geht verloren. Angesichts des wachstumsbedrohenden Fachkräftemangels entwickelt sich deshalb ein gegenläufiger Trend – weg vom anonymen Automatismus hin zu individuellem, motivierendem Bewerbermanagement.
Allerdings gilt diese Wandlung nicht für standardmäßige Positionen im Unternehmen, sondern ist begrenzt auf sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Für wichtige unternehmerische Kernfunktionen wie Produktentwickler, Ingenieure und Fachkräfte mit besonderen Qualifikationen wird ein eigener Rekrutierungsprozess etabliert. Dies wird bereits bei der Auswahlmöglichkeit der Bewerbungsart deutlich. High Potentials wird freigestellt, ob sie sich per Post, E-Mail oder per Rückruf bewerben wollen.
Diese individuelle Behandlung führt sich in der Bearbeitung der Bewerbung fort. Feedback erfolgt innerhalb einer minimalen Zeitspanne und ein persönlicher Termin wird umgehend angeboten – schnell, bequem und reibungslos, so dass der Bewerber sofort einen möglichst positiven Unternehmenseindruck gewinnt. Zeitintensive Erfassungsbögen, anonyme Behandlung und vollautomatisierte Bewerbungsphasen sind tabu. So werden die potenziellen Kandidaten bereits beim Erstkontakt mit den Unternehmen wertgeschätzt und die beliebte Personalmarketingbotschaft „Der Mitarbeiter ist das wichtigste“ findet praxisnahe Bestätigung. Dieser Trend berücksichtigt die persönliche Entwicklung, Mentalität und Werte der Bewerber – perfekt abgestimmt auf die heranwachsende „Generation Why“.
Die Generation Why in Zeiten unbegrenzter Möglichkeiten
Denn die umworbenen Nachwuchskräfte von morgen wissen um ihre besonderen Qualifikationen. Sie wissen, dass sie in vielen Unternehmen dringend gebraucht werden und sie haben die Erwartung, persönlich, respektvoll und individuell behandelt zu werden. Die Fachkräfte der Zukunft werden ihren Arbeitgebern selbstbewusst, ehrlich und vor allem fordernd gegenüberstehen. Ein Teil dieser fordernden Seite von Bewerbern entstammt dem Trend hin zur Individualisierung in unserer Gesellschaft.
Das so genannte Superstar-Syndrom hat die nachwachsende Generation geprägt. Das Motto „Wir sind alle Stars“ zieht sich für viele bin ins Berufsleben hinein und der Entertainmentgedanke wird auch bei potenziellen Arbeitstellen groß geschrieben. Die Generation Why erwartet eine herausragende Behandlung, auch im Bewerbungsprozess. Genau diese Erwartungshaltung passt nicht mit dem gegenwärtigen Trend der Automatisierung zusammen, so dass sich bereits heute eine gegenläufige Entwicklung für Bewerber mit Engpassqualifikationen abzeichnet, sozusagen ein zweiter Bewerbermarkt.
Werden sich diese zwei konträren Entwicklungen zukünftig noch verstärken, wird der Recruitingprozess in den nächsten Jahren zu einer Spaltung des Bewerbermanagements führen. Auf der einen Seite eine individuelle, zielgruppenspezifische Behandlung von Bewerbern mit besonderen Qualifikationen, auf der anderen Seite die voll automatisierte, systemkonforme und unpersönliche Bewerbungsmaschinerie für Standardpositionen.
Diese Entwicklung spiegelt zum Teil die zunehmende Spaltung in unserer Gesellschaft wieder. Betrachtet man diesen Trend im Personalwesen rein technokratisch und beurteilt nur die Funktionsweise, ohne gesellschaftspolitische, ethische oder moralische Aspekte zu berücksichtigen, dann ist dieser Prozess ein praxisnaher Weg, um den Spagat zwischen dem hohen Bewerbervolumen und den steigenden Erwartungen von Hochqualifizierten zu bewältigen.
Employer Branding als strategische Notwendigkeit
Diese konträren Prozesse müssen bereits im ersten Rekrutierungsschritt, dem Personalmarketing, berücksichtigt werden. Unternehmen, die viel in ihr Image als „guter“ Arbeitgeber investieren, haben zwar Erfolg, aber dieser Erfolg verstärkt gleichzeitig das ursprüngliche Problem: ein hohes, oft unpassendes Bewerbvolumen das zeitintensiv bearbeitet werden muss.
Aus diesem Grund setzen immer mehr Unternehmen auf die zielgruppenspezifische Ansprache von Bewerbern für Kernfunktionen, das so genannte Employer Branding. Das passende Medium, die adäquaten Mittel und Botschaften für potenzielle Bewerber zu finden, steht dabei im Mittelpunkt. Personalverantwortliche müssen die Details eines Stellenprofils immer präziser ausarbeiten. Die Frage, welche Qualifikation und welches Persönlichkeitsprofil in welchem Medium und über welche Kanäle publiziert werden soll, ist eine strategische Personalentscheidung. Der Weg vom Print- zum Onlinemedium bis hin zu Web 2.0 war bisher fließend und vieles ereignet sich immer noch parallel. Aber die neuen Social Media wie Twitter, diverse social networks, Xing, Weblogs oder auch Arbeitgeberbewertungsforen etc. bestimmen den Alltag der Generation Why und bereits jetzt sind diese Medien die wichtigste Quelle für Rekrutierungen.
In weiteren zehn Jahren wird eine ergänzende, neue und umfassende Welt im Netz zusätzliche Quellen offerieren und eine gigantische Plattform für zielgruppenspezifische Werbebotschaften bieten. Mobile Recruiting wird in wenigen Jahren zum normalen Bewerbungsmarathon zählen – eine Art Newsletter, der von Unternehmen zu aktuell offenen Stellen per Info aufs iPhone gesandt wird. Elektronische Bewerbungsformate sind nicht mehr wegzudenken. Bewerbervideos werden wie heute Bewerbungsunterlagen in Unternehmen weitergeleitet.
Bewerbungsgespräche per Video-Konferenz werden zum Alltag der High-Potentials zählen. Communities werden noch wichtiger sein als heute. Das Thema Alumni wird immer mehr in den Karrierefokus rücken und sachthemenbezogene Communities zur idealen Werbeplattform für Arbeitgeber avancieren.
Die strukturierte, nachhaltige und langfristige Beziehungspflege rückt immer mehr in den beruflichen Vordergrund, vor allem für Ingenieure, Softwareentwickler und alle Schnittstellen- und Managementfunktionen. Innerhalb all dieser Medien werden sich Unternehmen positionieren müssen, um sich als beliebter Arbeitgeber zu präsentieren und die High-Potentials von 2020 für sich zu gewinnen. Die Zukunft im HR-Segment Rekrutierung ist bereits heute webbasiert, jedoch werden die handelnden HR-Mitarbeiter die Kernkompetenz des Bewerberbeziehungsmanagements deutlich stärker ausprägen müssen, um erfolgreich zu sein.
Laufkundschaft versus Premiumkunden – zielgruppenspezifische Rekrutierungsprozesse
Doch wen zählen Unternehmen zu dieser besonderen Bewerbergruppe? Personelle Unternehmensstrukturen werden künftig verstärkt in einem Schalenmodell gesehen. Die innerste Schale ist der Kern des Unternehmens mit allen führenden Funktionen wie dem Management, der Geschäftsführung, herausragende Leistungsträger etc.; Mitarbeiter dieser innersten Schale arbeiten in fast allen Funktionsbereichen und werden meist herausragend behandelt. Der Genuss deutlich höherer Sicherheiten durch entsprechende Arbeitsverträge, finanzielle Vorteile, höhere Boni, mehr Freiheiten am Arbeitsplatz usw. zählen zu den Privilegien. Man kann sie die VIPs im Unternehmen nennen.
Die nächste Schale wird zwar ebenfalls von Leistungsträgern besetzt. Diese sind anerkannt und geschätzt, aber werden aus verschiedenen Gründen nicht zum wichtigen Unternehmenskern gezählt. Entweder passen ihre Qualifikationen nicht optimal, sie haben kein spezifisches Know-how oder sind relativ leicht zu ersetzen. Die äußere Schale bildet die situativ eingesetzten Mitarbeiter oder Unterstützungskräfte. Hierzu zählen vor allem Aushilfs-, Zeit- und Hilfskräfte und Freiberufler, die nur bei Bedarf in den unternehmensinternen Prozess eingebunden werden.
Blick in die HR-Agenda 2020
Blickt man auf das Jahr 2020 und auf die Entwicklung des Bewerbermanagements im Unternehmen, dann festigt sich die Vermutung, dass Mitarbeiteridentitäten zukünftig einen festen Platz in den Wirtschaftsstrukturen deutscher Unternehmen finden werden – mit allen Vor- und Nachteilen. Herkömmliche HR-Konzepte und Standardvorgehensweisen zur Rekrutierung sind nicht mehr zielführend und werden ad acta gelegt und neue, kreative und IT-affine Mittel und Wege werden das HR-Umfeld bestimmen.
Aktuelle Social-Web-Applikationen werden sich rasant weiterentwickeln und den Unternehmen völlig neue Plattformen für ihre Bewerbersuche, -information und -bindung bieten. Die zu besetzenden Positionen, bzw. die entsprechenden Bewerbungen, werden von der Stellenausschreibung an in unterschiedliche Rekrutierungsprozesse münden. Für Bewerber mit hohen Qualifikationen und Erfahrungen wird sich das Thema Stellensuche so zu einem äußerst positiven Ereignis – oft mit Beziehungs- und Eventcharakter – entwickeln, noch deutlich individualisierter als es gegenwärtig der Fall ist.
Bewerber für Standardpositionen müssen automatisierte Prozesse dulden und viel Zeit und gute Nerven mitbringen. Vom Bewerbungsbeginn bis zum Arbeitsalltag, das Bewerbermanagement wird sich in den nächsten zehn Jahren stark verändern. Dieser Paradigmenwechsel entwickelt sich zu einer ernsthaften Herausforderung für das HR-Managament und der Wertigkeit der HR-Funktion in der Unternehmensführung: Faktor der Wertschöpfung und des strategischen Wettbewerbsvorteiles oder Unterabteilung der IT-Funktion im Range einer Kostenstelle.
(Autor: Karlheinz Hirn, Kornherr Associates)
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