23.02.2023 – Kategorie: eCommerce
Retourenmanagement: Die digitale Revolution der Rücksendung
Mal ehrlich, niemand mag Retouren. Weder Konsumenten noch Onlinehändler – nachhaltig sind sie auch nicht.
Trotzdem gehen bis zu 70 Prozent der Waren zurück. Eine Lose-Lose-Situation? Ganz und gar nicht, meinen die Logistik-Experten Dirk Bockelmann und Johannes Holas. Robotik und digitalisierte Supply-Chain-Prozesse revolutionieren künftig das Retourenmanagement.
Retourenmanagement im Fashion-Bereich
Laut einer Studie haben 97 Prozent der Deutschen 2022 online bestellt. Vor allem viele Fashion-Artikel gehen retour. Wie lässt sich hier entgegenwirken?
Dirk Bockelmann: Schaut man sich die Produktsegmente im E-Commerce an, dann führt Fashion und Accessoires mit 47 Prozent die Liste an. Neben der hohen Versandquote ist das Produkt stark geprägt von Tragegefühl, Passform und Haptik, das lässt sich online nach wie vor schwer vermitteln. Dadurch ist die Retourquote höher als im Segment Consumer-Electronics. Hier versucht die Branche auch aktiv entgegenzuwirken. Auf Herstellerseite etwa mit standardisierten Passformen wie Slim fit oder Regular fit, um den Tragekomfort zu segmentieren und die vom Kunden erwartete Passform besser zu treffen. Auch wird in den fragmentierten Produktionsstandorten mehr auf Größentreue geachtet als noch vor zehn Jahren. Letztendlich hat sich in den Stammdaten der Onlineshops viel getan, sodass Artikel deutlich besser abgebildet und beschrieben werden als früher.
Johannes Holas: Mithilfe seines Smartphones kann jeder heute sein eigener Maßschneider sein. Der neueste Clou zur Vermeidung von Retouren ist die sogenannte digitale Anprobe. Eine App ermittelt über die Smartphone-Kamera die Statur einer Person und nimmt quasi Maß. Danach erfolgt die digitale Anprobe des ausgewählten Kleidungsstücks per Augmented Reality, so kann geprüft werden, ob die Passform den Vorstellungen entspricht. Hier gibt es bereits diverse KI-gestützt Anwendungen, die sich direkt in die Online-Plattform des Fashionhändlers integrieren lassen. So ein Gimmick ist ein Anreiz für Kunden und ermöglicht ein völlig neues Einkaufserlebnis, gleichzeitig reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Artikel zurückgeschickt wird, massiv.
Trotz aller Bemühungen und neuen Tools werden sich Retouren nie ganz vermeiden lassen. Wie lässt sich Retourenmanagement effizient umsetzen?
Bockelmann: Neben der Analyse der Ursachen für die Retoure sind effiziente und möglichst hochautomatisierte Retourenprozesse im Fulfillment Center unerlässlich: Hier haben wir gute Erfahrungen dem Einsatz von dynamischen Pufferzonen gemacht, in denen die retournierten Artikel nach der Sichtprüfung bis zu drei Tage einem Neuauftrag wieder zugeordnet werden können. Sollte der Artikel länger als drei Tage im Puffer verbleiben, wird er ausgeschleust und an den Lagerort zurückgelegt. Mit dieser Methode können, abhängig vom Sortiment, ca. 70 bis 90 Prozent der retournierten Artikel schnell und prozesskostengünstig wieder in den Verkauf gebracht werden.
Neue Technologien für das Retourenmanagement
Mit welchen Technologien können solche automatisierten dynamischen Pufferzonen umgesetzt werden?
Bockelmann: Als dynamischer Puffer eigenen sich Taschensorter-Lösungen sehr gut. In jede Tasche wird ein Artikel übergeben – mittels RFID-Tag und einem Adapter sind Tasche und Artikel miteinander verheiratet. Die Tasche mit dem Artikel kann präzise geroutet werden und ist jederzeit aus dem Puffer abrufbar. Die Taschensortierung ist besonders sinnvoll, wenn auch der reguläre Pick & Pack Prozess über die Taschensorteranlage läuft. Denn so können Retouren aus dem dynamischen Puffer über eine Sequenzierung einem neuen Auftrag zugeordnet werden, was die Effizienz weiter steigert. Eine Neuheit im Bereich der Taschensorter-Technologie ist die AutoPocket, die wir erfolgreich bei einigen Kunden im Fashion-Bereich einsetzen. Diese neue Generation von Sortertasche ermöglicht den vollautomatischen und präzisen Abwurf von Waren in gewünschte Ziele wie Versandkartons – diese Anwendung ist nicht nur für Retouren interessant, sondern für effizientes Low Touch und Zero Touch Fulfillment, um Kosten und Personaleinsatz zu optimieren.
Holas: Das effiziente Handling im Fulfillment Center ist das A und O. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, in Zukunft nicht mehr jede Retoure zum Ausgangspunkt des Händlers im Verteilzentrum rückzuführen, sondern lokale Retouren-Plattformen zu schaffen und die retournierten Waren über verschiedene Absatzkanäle wieder lokal in Verkehr zu bringen, etwa in Shops oder Click & Collect. Gerade für urbane Räume ist das ein denkbares Konzept für die Zukunft und würde die Transportwege reduzieren. Aktuell stehen hier die möglichen individuellen Interessen der verschiedenen Labels einem Absatz über fragmentierte Kanäle entgegen.
Digitalisierung steht im Fokus aller Supply-Chain-Prozesse – sicher auch, um die Retourenströme effizient zu managen? Welche Softwaretools sind unverzichtbar?
Holas: Dreh- und Angelpunkt des dynamischen Retourenmanagements ist das Warehouse Management System in Kombination mit eine Pufferkompetenz im Lager, also zum Beispiel einem Taschensortersystem wie die AutoPocket. Ein smarter Einlagerungsvorgang, der Putaway-Prozess von verkaufsfertigen Retouren, auf Basis von historischen Daten oder auch KI-unterstützen Verhaltensanalysen von bestimmten Produkten oder Produktgruppen, ermöglicht einen effizienten Wiederzugriff. Dazu nutzen wir in unseren Kundenlagern Analytics-Tools, die speziell auf die Anforderungen und Bedürfnisse der Logistik ausgerichtet sind und auch entsprechende KPIs in übersichtlichen Dashboards zur Verfügung stellen. Dies erleichtert Fulfillment Managern die tägliche Arbeit und lässt auch vorausschauend und kosteneffizient planen.
Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Liste
Viele Konsumenten streben einen nachhaltigeren Lebensstil an und wünschen sich das auch von den Unternehmen, bei denen sie kaufen. Welche Lösungsansätze gibt es hier?
Holas: Grundsätzlich liefert jede vermiedene Retoure den allergrößten Nachhaltigkeitsbeitrag. Darüber hinaus kann auch ohne Retoure und am direkten Weg zum Endkunden ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit in Form von CO2-Einsparung und Reduktion von Verpackungsmaterial geleistet werden. Durch den Einsatz moderner vollautomatischer Verpackungslinien kann die Größe des Versandkartons genau auf die Lieferung angepasst werden. So lassen sich Waren um ein Drittel kompakter verpacken. Das wiederum resultiert in weniger Verpackungsmaterial, und dass mehr Pakete mit einer LKW-Fahrt ausgeliefert werden können. Neben dem positiven Effekt auf den ökologischen Fußabdruck hat das right-sized packaging, wie wir es nennen auch Auswirkungen auf die Kosten und Effizienz im Retourenmanagement.
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