Social Commerce und Metaverse: Wie sich Marken vor Fake-Produkten schützen
Der Onlinemarkt für gefälschte Waren steigt rasant an. Unternehmen, deren Produkte als Plagiate das Internet überschwemmen, verlieren Reputation, Kundenvertrauen und Umsatz. In nächster Zeit müssen sie sich auf neue Vertriebswege der Fälscher einstellen. Ein besondere Rolle spielen dabei Social Commerce und Metaverse.
Da sind sich alle Marktteilnehmer im E-Commerce einig: Je mehr gefälschte Autoteile, Spielwaren, Medizinprodukte, Mode und Kopfhörer im Internet auftauchen, desto größer sind die Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft. Wie groß ist dieser Schaden aktuell? Dazu hat eine qualitative Umfrage von Sentryc die Situation in deutschen Unternehmen bezüglich Social Commerce und Plagiate untersucht. Hier einige wichtige Ergebnisse im Überblick:
- Die Befragten bewerten die Gefahr durch Plagiate für die deutsche Wirtschaft mit 4,96 und für die eigene Branche mit 4,66 auf einer Skala von 1 bis 6.
- Nur 37,5 Prozent sichern ihre Marken und Produkte in China, obwohl 55,4 Prozent des Vertriebs der Plagiate in China stattfindet.
- Der jährliche Schaden durch Fälschungen liegt bei den befragten Unternehmen zwischen 1 Million und 50 Millionen Euro.
- 65,2 Prozent bestätigen, dass bereits Kopien ihrer Produkte im Umlauf waren, von denen ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Endkunden ausging. Knapp 40 Prozent entdeckten Fälschungen, deren Erzeugung oder Vertrieb eine Gefahr für die Umwelt darstellt.
- Den größten Teil der gefundenen Fakes entdecken Unternehmen durch aktiven Einsatz von Markenschutz-Software.
Das also ist der Status Quo der deutschen Wirtschaft in puncto Produktpiraterie. Ist der Peek erreicht, weil haptische Echtheitsmerkmale, digitale Nachverfolgung und alarmierte Rechtsabteilungen den Fälschern das Wasser abgraben? Leider nein! Es gibt neue Herausforderungen und Strömungen im Online-Business, die die Zunahme von Fakes wahrscheinlich machen.
Im Jahr 2023 fließen die reale und digitale Welt erwartungsgemäß weiter ineinander. Damit treffen Konsumierende auf immer mehr Online-Räume, in denen ihnen Produkte angeboten werden. Beispielsweise integrieren nahezu alle relevanten Social-Media-Plattformen eigene Live-Shopping-Funktionen, Onlineshops werden zu Marktplätzen für Drittanbieter und virtuelles Einkaufen entwickelt sich mit einer Vielzahl von Technologien stetig weiter. Neue Spielräume für Plagiatoren tun sich auf, was wiederum Markenhersteller, Online-Marktplätze und Shop-Betreiber herausfordert.
Zunahme der Fakes im Social Commerce
Wir konsumieren in einer Zeit, in der immer mehr Menschen über soziale Netzwerke auf Produkte und Services aufmerksam werden. Sie entdecken und kaufen direkt aus ihrem Newsfeed heraus, ohne zusätzlich eine Website oder einen Onlineshop besuchen zu müssen. Hersteller verkaufen ihre Produkte zunehmend über Facebook, Instagram und TikTok und implementieren dezidierte Social-Commerce-Strategien. Auf TikTok beispielsweise entwickeln sich ganz eigene Shopping-Dynamiken durch gehypte Produkte, die schnell wieder ausverkauft sind. Allein der Hashtag #tiktokmademebuyit hat fast 30 Milliarden Hashtag-Aufrufe. Parallel präsentiert auch YouTube neue Liveshopping-Features mit Umfrageoptionen und Möglichkeiten wie dem Verkauf exklusiver, gebrandeter Produkte über Content Creator. Ein mögliches Problem dabei: Sind Produkte schnell wieder von den Plattformen verschwunden, erschwert dies auch die Nachvollziehbarkeit, ob es sich um Originale oder Fälschungen handelt.
Social Commerce bietet neue Chancen für Marken
Für Marken ergeben sich im Kontext von Social Commerce also neue Möglichkeiten, aber auch altbekannte Gefahren. Je präsenter und begehrter ein Produkt über Social Media beworben wird, desto attraktiver wird das Geschäft auch für Fälscher. Dabei benutzen diese ungeniert die gleichen Hashtags, um auf ihre Fake-Angebote und Fake-Shops aufmerksam zu machen. Hinter den meisten Accounts der Produktpiraten stecken keine echten Menschen, sondern Social Bots – Computer mit künstlicher Intelligenz, die, von Software-Algorithmen gesteuert, täglich tausende Posts in die sozialen Netzwerke spülen können. Während Instagram einen Account löscht, entstehen parallel 100 neue.
Im kommenden Jahr erwarten wir einen starken Anstieg von Counterfeits im Social Commerce und Live Commerce. Insbesondere letztere Disziplin steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Doch der Blick nach China und internationale Studien lassen vermuten, dass sich hier zukünftig viel bewegen wird. In China machen prominente Influencer schon heute enorme Umsätze mit Shopping-Formaten. Dazu kommt der Trend des Community Group Buyings in China, bei dem sich WeChat- und andere Social-Gruppen finden, die aufgrund ihrer Community-Größe bei Herstellern geringere Preise für Produkte verhandeln können.
Fälscher nutzen Super-Apps für Verkauf
WeChat gilt wie Alipay als Super-App. Gemeint sind Anwendungen, die neben Messenger-Funktionen auch E-Commerce- und Payment-Features abdecken und mit diesem Funktionsumfang viel Einblick in das Nutzungsverhalten ihrer User haben. Super-Apps können Fälschern durch ihr nahezu geschlossenes System inklusive Zahlungsabwicklung als lohnende Plattform für den Verkauf gefälschter Produkte dienen. Die komplexe und auch intransparente Struktur dieser Apps nutzen Produktpiraten ganz gezielt um Ihre Produkte anzubieten. Denn in den stark auf den Nutzer individualisierten Strukturen sieht eben nicht jeder unbedingt das gleiche, sondern Angebote können gezielt ausgesteuert werden über persönliche Feeds, Chats, Stream, Grupppen usw. Anbieter von Brand Protection stehen durch den Anstieg von Social Commerce technologisch vor großen Herausforderungen. Von Seiten der Hersteller wird es zunehmend wichtig, Social-Media-Plattformen bei der Verfolgung von Markenrechtsverletzungen mitzudenken.
Maßnahmen gegen Fälschungen ergreifen
Markenhersteller können gezielte Maßnahmen ergreifen, um Fälscher zu stoppen, die Repliken ihrer Produkte über soziale Netzwerke bewerben und vertreiben. Primär sollten sie sicherstellen, dass ihre Marken in allen relevanten Ländern geschützt sind, um Fälschungs-Freiräume zu vermeiden. Dazu empfiehlt sich der Einsatz einer Brand-Protection-Software, die soziale Medien überwacht und verdächtige Produkte meldet. Auch eine enge Zusammenarbeit mit den Betreibern sowie Aufklärungskampagnen über Fakes auf Social-Media-Kanälen können helfen, den Schaden zu minimieren. Wer noch mehr auf Nummer sicher gehen möchte, der entscheidet sich dafür, seine Produkte nur über autorisierte Händler oder ausschließlich den eigenen Onlineshop oder den eigenen Brand Channel anzubieten.
Fakes und Markenmissbrauch im Metaverse und Web3
Neben einer starken Social-Media-Präsenz drängen inzwischen auch viele Marken ins Metaverse und web3. Hierfür etablieren sie Auftritte auf unterschiedlichen Plattformen, und zwar von Fortnite, über Roblox bis hin zu Decentraland und Sandbox. Nahezu alle großen Tech-Unternehmen der Welt arbeiten bereits an ihren eigenen Lösungen für das Metaverse und auch Markenherstellern bietet dieser virtuelle Raum enormes Absatzpotential. Doch auch rechtlich, regulatorisch und gesellschaftlich müssen diese neuen Gestaltungsräume teilweise erst neu erschlossen werden. Räume im web3 stehen in Bezug auf Cyber-Kriminalität und Betrug aktuell eher etwas schutzloser und schadensanfälliger da als andere digitale Plattformen. Und so haben auch Plagiatoren und Produktfälscher das Potential bereits erkannt und nutzen die Gunst der Stunde.
Bewusstsein für Sicherheit wächst
Das Konzept des web3 ist noch in der Entwicklung begriffen. Daher lässt sich nicht klar voraussehen, auf welche rechtlichen Veränderungen und Herausforderungen sich Unternehmen einstellen müssen. Dazu kommen die Herausforderungen, die sich aus KI-generierten Inhalten ergeben. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, dass Hersteller die Sicherheit ihrer Marken sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt verteidigen müssen. Im vergangenen Jahr hat die Zahl der Markenanmeldungen durch die zunehmende Popularität des Metaversums und der NFTs für virtuelle Güter stark zugenommen. Eine Suche in der Datenbank des EUIPO zeigt, dass dort Hunderte von Markenanmeldungen anhängig sind, die Schutz für Produkte im Zusammenhang mit NFTs, Metaverse und/oder virtuelle Güter beanspruchen. Hier wurde in den letzten drei Monaten eine große Anzahl eingereicht.
Unternehmen sollten verschiedene Schritte erwägen, um ihre Marken im Web3 zu schützen. Vor allem sollten die Inhaber von geistigem Eigentum sich rechtlich beraten lassen, ob sie ihre Marken auch zum Beispiel für virtuelle Produkte und Dienstleistungen registrieren lassen sollten. Es ist gegebenenfalls auch ratsam, die Überwachung von Online-Umgebungen, insbesondere von NFT-Marktplätzen, auf Verstöße zu überwachen und die bestehenden Überwachungsdienste auf neue Nutzungsarten auszuweiten. Angesichts der Vielzahl der verschiedenen Plattformanbieter ist es mit erheblichem Aufwand verbunden, diese zu überwachen. Folglich sollten die Unternehmen im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht nur nicht nur ein separates Marketingbudget für das Web3 bereitstellen, sondern möglicherweise auch einen angemessenen Teil ihres juristischen Budgets.
Firewall gegen Fakes im Social Commerce einbauen
Auch Rechtsabteilungen sollten sich verstärkt auf das Thema einstellen. Fälschungen und ihre Konsequenzen für Geschädigte werden, wenn man dieser Argumentation folgt, zukünftig bei Gutachten zu Schadensfällen zunehmend eine Rolle spielen. Hat das Unternehmen in puncto Schutzmaßnahmen und Sorgfaltspflicht alles unternommen, um die Verbreitung von Fakes zu unterbinden? Wird aktives Risikomanagement und die Installation von Präventionsmaßnahmen von Versicherern kritisch nachgefragt? Es gilt, abteilungsübergreifend in den aktiven Diskurs zu treten und gemeinsam Prozesse und Maßnahmen zu etablieren, um Risiken von Produktfälschungen zu minimieren.
Über die Autorin: Nicole Jasmin Hofmann ist CEO und Co-Gründerin der Sentryc GmbH in Berlin. Die Seriengründerin schloss ihre Studien am IMK-Institut für Marketing und Kommunikation sowie an der Frankfurt School of Finance & Management ab. Bevor sie Mitglied des Gründerteams des Software-Anbieters für Brand Protection wurde, führte sie verschiedene Start-Ups der ProSiebenSat1-Gruppe. Hofmann zeichnete hier unter anderem für den strategischen Aufbau von preis24.de und mehrerer Marken des Health- und Wellness-Unternehmens 7NXT verantwortlich. (sg)
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