09.02.2010 – Kategorie: IT, Management, Marketing, Technik, eCommerce

Social-Network-Analysen im Web-2.0-Marketing

Mit Blogs und Social Networks haben es Unternehmen heute mit völlig anderen Formen der Meinungsmache zu tun, als noch vor wenigen Jahren. Die persönliche Bewertung von Produkten und Dienstleistungen hat häufig eine sehr viel stärkere Wirkung als eine Anzeigenkampagne.

Die Meinung ihrer „Peer-Group“ beeinflusst das Einkaufsverhalten vieler Kunden. Vor allem das Marketing steht vor der Herausforderung, das Wissen über die Kunden und die Beziehungsgeflechte, in denen sie stehen, zu erweitern. Komplexe Datenanalysen können helfen, sowohl aus bestehenden Kunden- und Transaktionsdaten sowie Informationen aus dem Web ein detaillierteres Bild für Marketingmaßnahmen zu zeichnen.

Das Wissen über Beziehungsgeflechte der Kunden ist derzeit kaum vorhanden. Bisher gab es weder entsprechende IT-Tools, noch schien die Verarbeitung großvolumiger Datenmengen aus  Beziehungsanalysen effizient möglich. Wer unter den Kunden kann als Meinungsmacher (Influencer) gelten? Wer wird vielleicht von anderen aus seinem Beziehungsgeflecht, seiner Peer-Group überzeugt, den Telefon- oder Stromanbieter zu wechseln? Wer wird ein Produkt kaufen, weil es bei seinen Freunden „in“ ist? Diese Antworten waren hauptsächlich dem Bauchgefühl und punktuellen Informationen aus dem CRM-System vorbehalten – dennoch gilt in vielen Fällen: Behaviour is contagious. Wenn im Data Mining Informationen über Beziehungsgeflechte einfließen, lassen sich beispielsweise Abwanderungskandidaten gezielter identifizieren und durch konkrete Marketing-Maßnahmen oder direkte Ansprache Churn vermeiden.

Der Weg zur Social-Network-Analyse

Die Social-Network-Analyse ist eine Disziplin des Data Mining, das traditionell auf einem Data Warehouse fußt. Die Variablen, die für die Analyse sozialer Netzwerke relevant sind, fließen gemeinsam mit anderen Werten in Data-Mining-Modelle ein und tragen so zu tieferer Kundenkenntnis bei. Denkbar ist jedoch auch eine Stand-Alone-Lösung für ein spezifisches Projekt mit konkreter Fragestellung. Statt Zugriff auf ein Data Warehouse können hier die Daten auch aus beliebigen Quellen beispielsweise in Form von Flatfiles verwendet und analysiert werden.  Dadurch könnte beispielsweise ein kleiner Online-Shop zur Verstärkung einer Viral-Marketing-Strategie im Rahmen einer Kundenanalyse die potentiellen Meinungsführer unter seinen Kunden entdecken. Dazu lassen sich unter anderem Daten aus privaten Shoppinglists, Tell-a-Friend-Funktionen und Loyalty-Programmen nutzen und nach tatsächlich daraus entstandenen Geschäften gewichten. Die Ergebnisse bleiben jedoch deskriptiv: Das Potential für prädiktive Analysen, die beispielsweise Kaufwahrscheinlichkeiten ermitteln, lässt sich nur im Kontext eines Data-Mining-Systems erschließen.

Daten auf dem goldenen Tablett

Für viele Branchen geht es zunächst darum, das Thema aus der Welt der Forschung in die Praxis zu holen. Die Nutzung entsprechender Analysemethoden steht noch am Anfang, wird sich jedoch in den nächsten Jahren immer stärker in Standardapplikationen niederschlagen. Hier sind auch die Anwender gefragt, den Nutzen gemeinsam mit den Softwareherstellern zu erschließen.

Für Telekommunikationsanbieter oder Social-Network-Provider liegen die zur Ermittlung von Beziehungsnetzwerken notwendigen Daten allerdings bereits heute auf der Hand.  Bei Telcos lassen sich die aus abrechnungsrelevanten Gründen gespeicherten Informationen nutzen, wann welches Gespräch wie lange mit welcher anderen Nummer geführt wurde. Mit diesen Transaktionsdaten liegt eine profunde Basis vor, um Marketingaktionen zielorientierter zu gestalten. Anhand von Data-Mining-Methoden werden große Datenmengen auf Muster hin ausgewertet, intelligente Algorithmen berechnen Wahrscheinlichkeiten von Kauf, Kündigung, Weiterempfehlung und Einfluss auf die assoziierten Kunden.

Dabei rückt die Micro-Community des Kunden ins Blickfeld. Auch bei Social-Network-Anbietern liegen die Verbindungen zwischen den Kunden auf natürliche Weise im Datenbestand vor, da jeder Nutzer seine Freunde definiert. Aus der Einbeziehung von Freund-Freund-Interaktionen lassen sich Rückschlüsse über gemeinsame Interessengebiete, Abneigungen oder Produktvorlieben erschließen und so die Bannerwerbung deutlich zielgerichteter einsetzen. Eine höhere Clickrate führt für die Betreiber dann wiederum zu wachsender  Kundenzufriedenheit. Grundsätzlich besteht jedoch für jedes Unternehmen, das sich mit Blogs, E-Mails und Foren befasst, die Möglichkeit, durch die Einbeziehung von Interaktionen zwischen Kunden das Wissen für zielgerichtetes Marketing zu verbessern.

Mathematik fürs Marketing

Mathematisch betrachtet sind Beziehungen in einem Social Network nichts anderes als Knoten (Kunden) und deren Verknüpfungen (Links). Zu jedem Knoten können eine Reihe von Verknüpfungen gehören, zum Beispiel private, geschäftliche  oder Hobby-bezogene, aber auch mehrere Variablen wie Name, Adresse und genutzte Produkte.  Für die Bildung eines Social Network können unterschiedlichste Rohdatenformate herangezogen werden, beispielsweise Links zwischen Personen, Kontakte, Distanzen oder Transaktionen. Entscheidend ist dabei, wie die Zusammenhänge semantisch interpretiert werden.  Zum Beispiel könnte für die Definition eines privaten Kontakts im Telco-Umfeld gelten, dass Telefonate auch außerhalb der Geschäftszeiten geführt werden, mindestens vier Gespräche monatlich von mindestens fünf Minuten Länge stattfinden. Erst durch die definierte Semantik lassen sich unterschiedliche Kategorisierungen feststellen.

Detaillierte Information über die Vorlieben der Zielgruppen schaffen zudem die Grundlage für personalisierte Werbung und Content – zum Beispiel im Web oder in Newslettern. Auf Basis der Analysen von Blogs lassen sich im Marketing Themen gegenüber denjenigen Kunden und Interessenten aufgreifen, die sich im Blog aufeinander bezogen haben.

Communities aus Produktsicht

Im Handel sieht die Datenlage anders aus, direkte Links zwischen Personen sind nur bedingt möglich, wie im Beispiel der „Influencer“-Analyse bei Online-Shops. Hier lässt sich die Social-Network-Analyse jedoch nutzen, um Käufer bestimmter Produkte zu Communities zusammenzufassen, die Profile der Kunden – wie Alter und Interessengebiete –  einzubeziehen und daraus Kaufempfehlungen abzuleiten. Auch für Produkte kann sich das Community-Konzept als sehr mächtig erweisen. Bisher waren im Data Mining aufwendige Regelwerke mit Association Rules für jedes einzelne Produkt erforderlich, um eine profunde Basis für Kaufempfehlungen zu schaffen. Für den damit verbunden Aufwand können nur wenige Unternehmen die notwendigen personellen Ressourcen auf die Beine stellen. Neben dem personellen Zeitaufwand ließen sich zudem aufgrund der Komplexität kaum Echtzeitanalysen durchführen, zudem fehlte die Visualisierung. Eine automatisierte Social-Network-Analyse kommt ohne entsprechendes Regelwerk aus.

Ein Forschungs-Beispiel zeigt, wie sich bei einem Handelsunternehmen ausgehend von Produkten Relationen untersuchen lassen. Hier wird visualisiert,  welche anderen Produkte Käufer von T-Shirts oder Hüten üblicherweise noch bestellen. Die Häufigkeit der Kauf-Verknüpfungen wird dabei farblich dargestellt, im Beispiel zeigen die hellgrünen Links eine höhere Häufigkeit auf als die braun dargestellten Verbindungen. Demnach  haben Cross-Selling-Aktionen für die häufigsten Produktverknüpfungen die besten Aussichten, eine möglichst hohe Zahl von Kunden anzusprechen. Die analytische Verknüpfung von zwei unterschiedlichen Ebenen – wie zum Beispiel Produkte und Kunden – wird als bipartiter Graph dargestellt. Denkbar sind auch Verbindungen wie die regionale Nähe von Kunden und damit korrelierende Kaufgewohnheiten.

Die Herausforderung großer Datenvolumen

Entscheidend ist bei der Integration von Social Networks in Data-Mining-Modelle, dass eine beliebige Anzahl von Variablen unterschiedlichster Datenarten wie nominale, ordinale, Text- oder Transaktionsdaten einbezogen und automatisch nach ihrer Relevanz geordnet wird – und das in einem vertretbaren Zeitraum.  Größenordnungen von 20 Millionen Knoten und 100 Millionen Links sind in der Social Network Analyse großer Unternehmen an der Tagesordnung. Um diese Volumen zeitnah zu verarbeiten, bedarf es entsprechend performanter Verarbeitungswerkzeuge. Durch die Einbeziehung sämtlicher Attribute lassen sich zum Beispiel der relative Einfluss des Alters einer Person, ihr Familienstand, ihre Bewertung von Service oder Support, die durchschnittliche Abweichung im Alter der nahegelegensten Nachbarn im Netzwerk, Profile nach Alter oder Churn in der engen Nachbarschaft in Beziehung setzen.

Die Verarbeitung praktisch aller vorhandenen  Variablen ist deshalb notwendig, weil sich a priori nicht sagen lässt, welche davon für die Analyse relevant sein könnten. Die Ergebnisse sollten in einer Form dargestellt werden, die auch für nicht-spezialisierte Anwender aus Geschäftsbereichen wie Marketing und Vertrieb leicht nachvollziehbar und aussagekräftig ist. Neben den bisher möglichen Ergebnissen aus dem Data und Text Mining  kommen noch die Implikationen aus der Social-Network-Analyse hinzu. Letztlich geht es dabei darum, die Aufgaben zu automatisieren, die in einigen Unternehmen bereits manuell erledigt werden.

Abwanderung: Einsparpotential Nummer Eins

Zum Beispiel lassen sich Beschwerde-E-Mails eines Kunden gemeinsam mit der Kenntnis, dass enge Kontakte dieses Kunden bereits gekündigt haben, als stark erhöhte Abwanderungstendenz interpretieren. Soziale Netzwerke für die Abwanderung lassen sich beispielsweise als Baumstrukturen darstellen, in denen Abwanderer monatlich unterschiedlich farbig gekennzeichnet werden. Die Praxis zeigt, dass im Umfeld eines abgewanderten Kunden in der Regel weitere seiner Kontakte im Verlauf der nächsten Monate kündigen.

Das Thema Churn Management wird mittlerweile in Unternehmen immer höher aufgehängt – schließlich ist es Statistiken zufolge mindestens fünfmal teuerer, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen bestehenden Kunden zu halten. Im Telko-Bereich gilt die Anzahl der Abwanderer in seinem Freundeskreis als Schlüsselindikator für die Churn-Wahrscheinlichkeit eines Kunden. Wird diese Information in der Analyse verwendet, ergeben sich deutlich konkretere Hinweise auf potentielle Absprung-Kandidaten.

Anhand der Umfeld-Informationen eines Kunden lässt sich anhand einer Pairing-Graph (Paarung) genannten Methode aber zum Beispiel auch erkennen, ob ein Identitätsbetrug vorliegt: Beispielsweise wenn im Fall von Telekommunikationsanbietern ein Prepaid-Kunde unter anderem Namen agiert, laut Social-Network-Analyse jedoch dieselbe Person ist. Die Paaranalyse Kunden, die im Oktober präsent waren – und „Proxies“ mit der gleichen Nachbarschaftsstruktur im November.

Neue Wege im Marketing

Während im traditionellen Marketing ein Modell entwickelt wird, anschließend eine Botschaft an die Kunden vermittelt und die Ergebnisse anhand der Responseraten gemessen werden, gehen Ansätze wie Viral Marketing oder Word-of-Mouth-Marketing bereits neue Wege. Hier wird die Möglichkeit genutzt, Messages durch bestimmte Kunden weiterzugeben.  Statistiken zeigen jedoch, dass nur ein bestimmter Teil der Kunden entsprechend kommuniziert – die richtigen „Influencer“ zu finden, ist ohne entsprechende IT-Unterstützung kaum möglich. Neben Fällen, in denen keine Kommunikation stattfindet, gibt es jedoch auch das Problem der Negativkommunikation – in jedem Fall ist die Methode nicht empirisch messbar. Durch den Ansatz der Social Network-Analyse lassen sich jedoch beide Welten verbinden: Sowohl bestehende Kundendaten als auch Informationen über soziale Beziehungsgeflechte werden gleichermaßen genutzt, zudem lässt sich der Erfolg der Maßnahmen in Zukunft besser messen. Vergleiche in ersten Projekten zeigen durch die Einbeziehung der Social-Network-Analyse eine Performance-Verbesserung im Vergleich zu bisherigen Strategien um 42 Prozent.

Verbindungen knüpfen

Ein entscheidender Part der Social Network Analyse ist die Fähigkeit, auch unstrukturierte Daten wie E-Mails oder Blogbeiträge zu verarbeiten. Text Mining kann in Verbindung mit Data Mining  dazu beitragen, unstrukturierte Informationen beispielsweise aus dem Internet auszuwerten und in Kontext mit bestehenden Daten zu bringen: Beispielsweise der Austausch der Blognutzer zu bestimmten Produktfeatures und die Verlinkung von Blogbeitrag und Kunde im eigenen CRM-System.  Zunächst bieten sich dafür eigene Unternehmens-Blogs an, deren Inhalte in Datenanalysen einfließen können. Mit Hilfe von Web-Crawlern lassen sich jedoch auch relevante Inhalte im Internet aufspüren und gegebenenfalls ins System laden, um hier im Rahmen von Text- und Data-Mining-Untersuchungen ausgewertet zu werden.

Die Informationen aus Blogs oder Social Networks stehen derzeit nur bedingt zur Verfügung, zudem gilt es, sich bei allen Aktivitäten im Bereich der Social-Network-Analyse an rechtliche und ethische Rahmenbedingungen des Datenschutzes zu halten. Dennoch lassen sich vorhandene Daten oder zugekaufte Marktdaten nur dann sinnvoll nutzen, wenn die sich das Funktionsspektrum des Data-Mining-Tools auf die Auswertung von Social Networks ausdehnt.

(Autor: Francoise Soulié Fogelmann, Vice President Strategic Business Development beim Data-Mining-Hersteller KXEN)


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